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VON SUADA ÜBER BRIMBORIUM
führt der Weg nach Klagenfurt
Anlässlich eines Bachmann-Preis-Wettlesens

Einer, der nichts zu erzählen hat, weil's ihm an Erlebnissen und Fantasie gleichermaßen fehlt, setzte sich einst an den Schreibtisch mit dem selbst erteilten Auftrag: jetzt bin ich Schriftsteller und mach erst einmal zweihundert Seiten voll. Diesem Meister der verbalen Blähung ist es im Zuge dessen gelungen, einen schlichten Satz wie
„Er holte sich eine Orange“ (25 Anschläge)
folgendermaßen aufzublähen:
Bedächtig erhob er sich und machte sich auf den Weg in die Küche, wo, so wusste er seit dem gestrigen Einkauf und dem anschließenden Heimtragen, dem Abladen und Einordnen der erstandenen Lebensmittel – er hatte diesmal ausschließlich Lebensmittel gekauft und auf Hygieneartikel gänzlich verzichtet, weil sein Haushaltsbudget beschränkt war und ihm Essen näher lag als Hygiene –, in einem geflochtenen Korb, welcher eigentlich fürs Aufbewahren oder auch Auftragen von Gebäck gedacht war – vom ihm gestern beim Einordnen jedoch spontan zum Obstkorb ungewidmet worden war, indem er Früchte hineintat –, eine volle, reife und, wie er hoffte, auch wohlschmeckende, nicht bittere, nicht saure und sich überdies im von ihm gewünschten Aggregatzustand – nicht hölzern trocken, nicht triefend saftig – befindliche orange Frucht vorzufinden sein würde, die er zu schälen, zu zerteilen und mit Genuss zu verzehren gedachte.
Glasklar erinnerte er sich daran, wie er die Einkaufstaschen, darunter auch ein in den Farben Orange und Rot gehaltener Plastiksack, den er nicht von daheim mitgenommen, sondern erst im Übermarkt – so nannte er, dem Anglizismen zuwider waren, gerne den Supermarkt – erstanden hatte, um die kargen Einkäufe dieses Tages repräsentabel transportieren zu können, wie er also die Waren ihrem künftigen Gebrauch und ihrer Verderblichkeit Rechnung tragend aus den Transportbehältnissen genommen und in die Aufbewahrungsbehältnisse getan hatte.
Aus dieser Erinnerung schöpfte er beinahe Gewissheit, die orange Frucht ohne langes Suchen dort zu finden, wo er sie aufbewahrt hatte, zumal niemand außer ihm seitdem die Wohnung betreten hatte, demnach niemand außer ihm die Frucht dem Korb entnehmen hatte können – niemand außer ihm ...
An der Tür zur Küche angelangt fochten ihn bereits starke Zweifel an, denn zuweilen entfielen seinem Gedächtnis Handlungen und Begebenheiten, sodass der Verzehr einer Frucht zum Beispiel bereits stattgefunden haben könnte, die begehrte Frucht schon einem früheren Appetit zum Opfer gefallen sein könnte, gewissermaßen gedankenlos geschält, zerteilt und verdrückt worden war, und dass somit diese Frucht einem baldigen Verzehr nicht weiter zur Verfügung stünde.
Gedanken dieser Art steigerten den kleinen Gusto zum Heißhunger – er musste nun unbedingt eine Orange haben, würde dafür auch mehr auf sich nehmen als nur diesen relativ kurzen Weg vom Esstisch im Wohnzimmer zum Obstkorb in der Küche.
Während er nun schon eilig den Rest des Weges hinter sich zu bringen trachtete, wuchs quälend die Angst, eine Verlustangst, die Angst davor, die ersehnte Frucht nimmer vorzufinden.
Und wirklich, beim ersten Blick, den er auf den nunmehrigen Obstkorb werfen konnte, schien es, als sei die Frucht nicht darinnen, und so wuchs ein Zorn auf sich selber, weil er sich gierig und gedankenlos die Köstlichkeit schon zu einem früheren Zeitpunkt weggefressen hatte. Doch beim näheren Hinsehen lag sie da zwischen den anderen Früchten, ein wenig verdeckt von Bananen, von denen er nunmehr nicht mehr wusste, warum er sie eigentlich besorgt hatte. Er mochte Bananen nicht, zumindest nicht so sehr wie Orangen, nicht so sehr wie diese eine Orange, die er nun, da die Wut auf Gott und das unbarmherzige Schicksal verflogen war, wieder versöhnt und im Reinen mit sich, ehrfurchtsvoll behutsam aus dem Korb nahm, sie betrachtete wie einen Schatz, die wertvolle, ihm wertvolle Frucht.
Spaßeshalber dachte er noch, diese Orange wäre eines Silbertabletts würdig; darauf, wenn er eines hätte, sollte, müsste er sie legen und sie in einer Einmannprozession ins Wohnzimmer zum Esstisch tragen, wo er schließlich ihren Verzehr zu zelebrieren hätte.
Er war bereits auf dem Rückweg und bei der Wohnzimmertür, da bedauerte er noch, dass seine finanziellen Verhältnisse ihm nicht gestatteten, über ein Silbertablett zu verfügen – er würde diese besondere Frucht wohl einfach abschälen, zerteilen und verzehren müssen wie viele gewöhnliche Früchte vordem oder, so dachte er jetzt, vielleicht als Abwechslung und eben um der besonderen Frucht auch besondere Behandlung zukommen zu lassen, sie diesmal vierteilen und Saft samt Fruchtfleisch vom Inneren der Schale saugen.
Ja, so wollte er es machen!
Hiezu, fiel im ein, brauchte er ein Messer, deren sich keines im Wohnzimmer befand, die nahezu allesamt in der Lade neben all dem anderen Besteck lagen. Nun, fast am Ziel, hieß es zurück in die Küche, das Messer der Bestecklade entnehmen und dazu einen kleinen flachen Teller aus dem Stapel im Geschirrschrank, damit beim Schneiden der Orange der Saft nicht die Esstischplatte verunreinige.
Er hätte Messer und Teller natürlich auch aus der Abwasch nehmen können, wo sich neben einem Topf, einem Suppenteller, einer Kaffeetasse, einem Suppenlöffel und einem Kaffeelöffel ein nicht besonders scharf geschliffenes Messer mit Kunststoffgriff sowie ein Porzellanteller mit Sprung, welcher sich gleich einem schwarzen Haar von der Mitte bis zum Rande zog, befanden. Die beiden hätte er jedoch vor neuerlicher Verwendung unter fließendem Wasser reinigen und – entgegen seiner Gewohnheit, das nach dem Abwaschen auf dem Geschirr verbleibende Spülwasser im Abtropfkorb verdunsten zu lassen – anschließend mit einem trockenen Tuch abwischen müssen, was eine unliebsame Verzögerung des erwarteten Genusses bedeutet hätte.
Nein, er wollte, wie ursprünglich vorgesehen, ein frisches Messer aus der Bestecklade und einen sauberen Teller aus dem Geschirrschrank nehmen.
Mit dem nötigen Werkzeug versehen konnte er sich nun, sobald er den Essplatz erreicht hatte, an sein frugales Mahl machen. Noch war es nicht so weit, aber bald, in wenigen Sekunden nur, würde es so weit sein, wenn nicht, wie es selbst der gewöhnliche Alltag mit sich bringen kann, noch Unerwartetes geschähe, sich ihm und dem Genuss in den Weg stellte.
Der überstrapazierte Gruß beziehungsweise fromme Wunsch, mit dem die meisten Werktätigen gern vom mittleren Vormittag bis zum Feierabend hin ihre Kollegen und Vorgesetzten bedachten, ohne jener Grußworte respektive -formeln wie "Servus", "Habedieehre", "Grüß Gott" oder "Guten Tag" weiter zu achten, kam ihm in den Sinn und fraß sich fest hinter seiner Stirn: "MAHLZEIT!"
(6.182 Anschläge – Verhältnis der Anschläge: 1:247,28 ...)


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