Der Weg vom Arbeitsamt zum Arbeitsmarktservice

Von der Arbeitsmarktpolitik zur Dienstleistung

Von Gabriele Müller

Mit einem ehrgeizigen Reorganisationsprojekt spart das Arbeitsmarktservice (AMS) Kosten und Zeit. Organisatorische Einsparungspotentiale wurden mehr als wahrgenommen, sind die Vertreter der Arbeitnehmer in den Entscheidungsgremien des AMS überzeugt. Von den Potentialen innovativer Arbeitsmarktpolitik ist heute keine Rede mehr. Als potentielle Melkkuh zur Budgetsanierung steht das AMS unter permanentem Druck. Einem Druck, den es an seine Partner am äußeren Rand des Arbeitsmarktes weitergibt.

Das Arbeitsmarktservice, An- fang der 90er Jahre noch als Arbeitsamt bekannt, ist die größte Vermittlungsagentur auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. 1994 war die Arbeitsmarktverwaltung ausgegliedert und als öffentlich-rechtliches Dienstleistungsunternehmen unter der Bezeichnung AMS neu organisiert worden. Bald danach wurde eine umfassende Reorganisation buchstäblich »in Angriff genommen«. »Ein Vorhaben, das, generalstabsmäßig geplant, bis 2004 hineinreicht«, kommentiert AMS-Vorstandsmitglied Herbert Böhm. Die Planungsschritte umfassen Mitarbeiterschulung, Integration der Datensysteme bis hin zu räumlichen und baulichen Veränderungen. In Wien wurden die – nunmehr – elf Geschäftsstellen nach nur einer Schließwoche per 11. Februar auf das neue »Dreizonenmodell« umgestellt. (Siehe Interview mit AMS-Vorstandsmitglied Herbert Böhm auf Seite 40). »Alles unter einem Dach« heißt die Devise, unter der Versicherungsdienste, Information und Beratung geboten werden. Die frühere Branchenzuständigkeit wurde aufgelöst und durch das Kriterium des nächstgelegenen Wohnsitzes der Arbeitsuchenden ersetzt. »Eine Herkulesarbeit«, meint Inge Friehs, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS Wien.

Effizient und kundenorientiert

Von enormem Fortschritt in Richtung effizientem und kundenorientiertem Dienstleistungsservice spricht Bernhard Achitz, ÖGB-Vertreter im AMS-Verwaltungsrat. Allerdings: »Das AMS kann unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur versuchen, das Optimum herauszuholen. Das geschieht auch. Das AMS sucht Kooperationen, um im eigenen Bereich besser zu werden, es wendet Managementmethoden an, um von der Behörde zur Serviceorganisation zu werden. Die Maßnahmen der Bundesregierung aber konterkarieren jede Bemühung, die steigende Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.«

»Die Entwicklung vom Amt zum Service wurde in den letzten sechs Jahren vollzogen, Einsparungspotentiale mehr als wahrgenommen. Mit wenigen Ausnahmen, die budgetär nicht ins Gewicht fallen«, analysiert Rudolf Kaske, Kurienvertreter der Arbeitnehmer und Mitglied des Kontrollausschusses im AMS. Zwar hat das AMS mit 605 Millionen Euro (rund 8,3 Milliarden Schilling) sogar etwas mehr Budget als im Vorjahr. Eine Erhöhung, die übrigens von den Arbeitnehmervertretern durchgesetzt wurde. Laut WIFO-Prognose ist aber mit kontinuierlicher Steigerung der Arbeitslosenquote (registrierte Arbeitslose in Prozent des unselbständigen Arbeitskräftepotentials) zu rechnen, zumindest so lange, bis der erwartete Konjunkturaufschwung eintritt.

Wie sich das heuer mit den projektierten Maßnahmen ausgeht? »Es bedeutet, dass der einzelne Förderfall um sieben Prozent billiger werden muss«, errechnet Herbert Buchinger, AMS-Vorstandsvorsitzender, »indem wir die Maßnahmeträger noch mehr drücken und noch mehr Konkurrenz unter den Anbietern auf dem Arbeitsmarkt herstellen. Hie und da wird man auch von teuren zu billigeren Maßnahmen umschichten müssen.«

2,7 Milliarden Euro Arbeitergelder ins Budget verschoben!

Von der Konjunkturflaute abgesehen, ein hausgemachter Druck. Wertvolle Zeit hatte die Erklärung der Bundesregierung, das AMS in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umzuwandeln, gekostet. Die Geschichte: Die Regierung hatte beschlossen, per 1. 1. 2002 das AMS in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Alleineigentum des Bundes umzuwandeln. Die Sozialpartner wären von Entscheidungsträgern in den AMS-Gremien (siehe Kasten »AMS-Organigramm«) zu Aufsichtsräten degradiert, Beiträge und Leistungen wären im Nationalrat beschlossen worden. Nicht umsonst eine Lieblingsidee von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein: Als Eigentümer einer einzigen GesmbH wäre er immerhin befugt, den Aufsichtsrat zu nominieren.

Der Bund, als hundertprozentiger Eigentümer der GesmbH, könnte seine Vorstellungen gegen den Willen der Sozialpartner durchsetzen, die finanzielle Verantwortung aber auf die AMS-Gesellschaft abwälzen, kritisierten damals die Arbeitnehmervertreter. »Durch Wegfall der Bundeshaftung trägt eine AMS GesmbH und deren Organe erhebliches finanzielles Risiko in Milliardenhöhe. Kürzungen im Leistungsrecht, Personaleinsparungen und Leistungsauslagerungen sind unausweichliche Folgen«, empörte sich Rudolf Kaske damals über das abenteuerliche Vorhaben, das zur Reverstaatlichung des AMS bei gleichzeitiger Privatisierung des Risikos geführt hätte.

Weniger Einsicht, sondern ein selbst verursachtes Problem brachte die Bundesregierung (vorerst?) von dem Projekt ab: Die Umwandlung in eine privatwirtschaftliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätte betriebswirtschaftlicher Rücklagen und vor allem des Ausgleichs eines jährlichen Defizits – im Schnitt geschätzte 327 Millionen Euro (4,5 Milliarden Schilling) – bedurft. Ein Minus, das nach geltendem Gesetz aus dem allgemeinen Budget zu begleichen ist.

Die Chuzpe: Bei der Erstellung des Doppeletats 2001/2002 hatte der FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser sämtliche AMS-Überschüsse für das allgemeine Budget verwendet. Überschüsse, die aus den Pflichtbeiträgen von mehr als drei Millionen Arbeitnehmern zustande gekommen waren. Binnen zwei Jahren wurden dem AMS etwa 2,7 Milliarden Euro (37 Milliarden Schilling) entzogen. Stillschweigen breitete sich über die Debatte »Privatisierung des Arbeitsmarktservice«, die immerhin wichtige Ressourcen blockiert hatte.

Geldprobleme

Schwerwiegender als die virtuelle GesmbH-Diskussion wiegt für die Arbeitnehmervertreter besagte »Abschöpfung« der Mittel aus der Arbeitslosenversicherung.

»In Zeiten, wo verstärkte Arbeitsmarktpolitik gefordert wäre, werden die Beiträge nicht zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und akzentuierte Förderung von Aus- und Weiterbildung verwendet, sondern budgetwirksam abgeschöpft«, meint Georg Ziniel, AK-Vertreter im AMS-Verwaltungsrat. »Das größte hausgemachte Problem ist die Entziehung der Mittel und die fehlende arbeitsmarktpolitische Strategie.«

Die letzte Märzstatistik zeigte zwei besorgniserregende Entwicklungen: Den Anstieg der Arbeitslosen bei Jugendlichen und bei über 50-Jährigen. Die negative Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde bereits im Mai 2001 dokumentiert. Seit damals reklamieren ÖGB und AK die Freigabe der so genannten Bundesreserve von 1,5 Milliarden. Ziniel: »Die Geldmittel, um der derzeitigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entgegenzusteuern, sind vorhanden. Die Regierung beabsichtigt aber, auch diese budgetwirksam einzusetzen.«

Am Rand wird's eng

Spürbar wird die finanzielle Enge in der Kooperation des AMS mit seinen Partnern. Bundesweit arbeiten rund 3000 Maßnahmenträger, von großen Bildungseinrichtungen wie dem bfi bis zu kleinen gemeinnützigen Vereinen, als Auftragnehmer des AMS im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Besonders betroffen sind die sozialökonomischen Betriebe und die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, beide in unterschiedlicher Weise mit der Betreuung von »Problemgruppen« befasst. Sie betreuen jene Arbeitssuchenden, für die auch im neuen »Dreizonenmodell« des AMS keine Zeit ist.

In der ausgelagerten »Vierten Zone« sozusagen, finden Menschen mit ganz spezifischen Problemen, die einer raschen Integration auf dem Arbeitsmarkt im Weg stehen, Rat und Hilfe: Schuldner, Suchtkranke, Strafentlassene zum Beispiel, Migranten, ganz einfach »Frauen« oder Langzeitarbeitslose sind unter den Zielgruppen. Auch Menschen mit psychischen oder physischen Problemen, wobei eines wohl immer ins andere übergreift.

Mitte der 80er Jahre war im Bereich der »Problemgruppen« die arbeitsmarktpolitische Diskussion noch völlig anders gelagert: Autonome Vereine, Gemeinden und eigens zu dem Zweck geschaffene Beschäftigungsinitiativen waren angetreten, Arbeitsuchenden auf dem so genannten »Zweiten Arbeitsmarkt« zu attraktiven und sinnvollen Arbeitsplätzen zu verhelfen. Nicht vordergründige Integration so rasch wie möglich war Ziel von Beratung und Betreuung, sondern nachhaltige Begleitung der weniger dynamischen Arbeitslosen. Heute scheinen die Akteure am äußeren Rand des Arbeitsmarktes selbst zum Problem geworden zu sein.

So war zwischen dem Auftraggeber AMS und den Auftragnehmern, die an der Integration von Benachteiligten in den Arbeitsmarkt arbeiten, im Vorjahr eine heftige Diskussion entbrannt, die noch andauert. Angekündigte Budgetkürzungen quer durch alle Maßnahmenträger brachten viele Einrichtungen in prekäre Situationen, bis hin zur Gefahr der völligen Schließung.

»Unser Zugang als ÖGB und AK war, mit dem AMS nachzuverhandeln, um zu sehen, wo Umschichtungspotentiale sind«, berichtet Josef Wallner, Vertreter der AK im Landesdirektorium des AMS Wien. »Bei einigen Einrichtungen, etwa Frauenberatungsstellen, Migranten und Haftentlassenen, ist uns auch eine massive Senkung der Kürzungen gelungen. Einige haben aber noch Probleme.« Nicht allein finanzieller, sondern grundsätzlicher Natur.

Neobliberaler Ansatz der Arbeitsmarktpolitik

Grundsätzliche Probleme zeichnen sich für den Experten in innovativer Arbeitsmarktpolitik, Rainer Klien, schon seit geraumer Zeit ab. Von Projekten mit dem Ziel, Menschen in sinnvolle Tätigkeiten zu bringen, ginge der Weg heute in Richtung Förderung des Niedriglohnbereichs, meinte er bei der vierten Armutskonferenz im Oktober 2001. Ein sichtbares Zeichen davon ist die steigende Armut selbst unter jenen, die entlohnter Arbeit nachgehen.

Rainer Klien: »Die Experten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben sich schamlos zu Handlangern des wild gewordenen Neoliberalismus machen lassen. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, stehen Armut und Barbarei mitten in den >zivilisierten< Gesellschaften.« (Siehe auch A&W 2/2001 »Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit: Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigung«, von Rainer Klien.)

Eine Tendenz, die sich an Thematik und Form der aktuellen Debatte zeigt. Es geht um die Frage: Was bedeutet Effizienz und Nachhaltigkeit in der Vermittlung von Menschen in den Arbeitsmarkt? Und vor allem: Wie wird sie gemessen?

Ein Detail, das durch die Auflagen des AMS an die Betreuungsstellen für weitere Kooperation zum Problem wurde. Die geplanten Vorgaben: »Anhebung des Betreuungsschlüssels« (sprich: mehr Kunden pro Zeiteinheit), Konzentration auf AMS-Zuweisungen (die Zahl der Arbeitsuchenden, die sich aus Eigeninitiative an die Beratungsstellen wenden, soll gesenkt werden) und eine rigide Dokumentationspflicht. Für die AMS-Partner stellt dies die Qualität ihrer Arbeit in Frage.

Effizienz und Kundenorientiertheit ist ohnehin auch ihr Anliegen. In der ausgelagerten »vierten Zone«, wo Kunden zu Klienten werden, gelten andere Maßstäbe. Diese festzulegen ist eine arbeitsmarktpolitische Diskussion wert.

 
DAS ORGANISATIONSMODELL
DES AMS ÖSTERREICH

Mit dem Arbeitsmarktservicegesetz vom 1. Juli 1994 wurde die Arbeitsmarktverwaltung aus dem Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ausgegliedert und das Arbeitsmarktservice (AMS) als Dienstleistungsunternehmen des öffentlichen Rechts konstituiert.

Im hoheitlichen Bereich ist der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft oberstes Organ und weisungsbefugt. Zwar nimmt das AMS hoheitliche Funktionen wie die Auszahlung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe wahr, die Geschäftsführer sind aber an die Weisungen des Eigentümers Bund, vertreten durch Arbeitsminister (und Wirtschaftsminister) Martin Bartenstein, gebunden. Er gibt die allgemeinen Zielsetzungen vor, bewertet die Tätigkeiten des AMS und genehmigt grundsätzliche finanzielle Angelegenheiten. Die Entscheidungen über den Instrumenten- und Mitteleinsatz für die Erreichung der vorgegebenen arbeitsmarktpolitischen Ziele erfolgt – weitgehend – im AMS, das in Bundes-, Landes- und Regionalorganisationen gegliedert ist.

Auf Bundesebene agiert der

Verwaltungsrat:
Vorsitzender des Präsidiums ist Günter Steinbach (AMS-Bundesgeschäftsstelle), dessen Stellvertreter sind Georg Ziniel (Bundesarbeitskammer) und Wolfgang Tritremmel (Vereinigung der Österreichischen Industrie).
Günter Steinbach (AMS-Bundesgeschäftsstelle), Arnold Pregernig (Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft) und Richard Gauss (Finanzministerium) vertreten als Mitglieder im Verwaltungsrat die Regierung.

Die Arbeitnehmer
werden von Bernhard Achitz (ÖGB), Rudolf Kaske (Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönliche Dienste) und Georg Ziniel (Bundesarbeitskammer) repräsentiert.
Wolfgang Tritremmel (Vereinigung der Österreichischen Industrie), Peter Kotauczek (Beko GmbH) und Fritz Miklau (Wirtschaftskammer) sprechen für

die Arbeitgeber.
Die Sozialpartner sind also gegenüber den Vertretern der Regierung »in der Überzahl«. Zu bedenken ist aber auch, dass Arbeitgeber und Unternehmer allein die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten. Die Stärkung der Rolle der Sozialpartner bei der Gestaltung der österreichischen Arbeitsmarktpolitik ist daher eine der wichtigsten Forderungen von ÖGB und AK.

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