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KALENDERGESCHICHTE

„Am Anfang ist der Sonntag, nach ihm kommt Montag, darauf folgt Dienstag, dann Mittwoch, in der Mitte, wie der Name sagt, als fünfter dann Donnerstag, darnach Freitag und als letzter Samstag – meinetwegen auch Sonnabend; Mittwoch steht zwischen Dienstag und Donnerstag, dann kommt Freitag und nach Freitag Samstag beziehungsweise Sonnabend oder Sabbat oder Sambaton oder wie ihr wollt; Sonntag ist der erste in der Reihe – das besagt gar nichts, ist aber auch kein Zufall, das war schon immer so, das haben bereits unsere Altvordern so gehalten – daneben steht Montag, Neben dem Sonntag natürlich, nachher der Ertag; Mittwoch gehört zwischen Dingsda und Pfinztag, ja, nach Dienstag und vor Donnerstag; Schabbes, himmelherrgottnocheinmal, kommt nach Freitag, freilich auch vor Sonntag, in diesem Fall aber nach Freitag; nein, das gibt keinen Kreis – eine Linie, eine Reihe, eine Phalanx, eine Front, die Halbscheid eines Spaliers wirds; kruzitürken, das kann doch nicht so schwer sein; Montag – wo ist der Somnambule jetzt wieder? – Montag neben Sonntag, Dienstag neben Montag, Mittwoch neben Dienstag, Donnerstag neben Mittwoch, Freitag neben Donnerstag, Samstag neben Freitag. Somodimidofrsadoremifasollasi – so ist die richtige Reihenfolge und so will ichs haben, habt ihr das verstanden? Von links nach rechts. Was mir rechts ist soll euch links sein, weil ihr verkehrt steht; nein, ich stehe mitnichten verkehrt, ich stehe richtig, ihr steht verkehrt, da gibts gar keine Würsteln, aus, Schluß, basta; abzählen!"
„Eins" zählt der erste, „zwei" der zweite, „drei" der dritte, „vier" der vierte, „fünf" der fünfte, „sechs" der sechste, „sieben" der letzte Anthropophage, und nach dem gemeinsamen Schmettern der Hymne „Woos is heid fia Doog?" ist Robinson endlich zufrieden.
Das ist kein leichtes gewesen, die Kannibalen Mores lehren, doch mittlerweile verstehen sie ihre Bestecke recht ordentlich zu halten und passable Cravattenknoten zu binden. Daß dieser oder jener – Schlawiner sind sie alle – hin und wieder von Menschen nascht, ist Master Crusoe durchaus nicht entgangen, doch weiß er mit der Nachsicht des vifen Pädagogen das eine oder andere Auge zuzudrücken, solang der Verzehr mit Messer und Gabel geschieht.
Nur als Dienstag, zu besseren Weilen von Robinson auch gerne und liebevoll Gestern gerufen, einmal zum Verspeisen eines Fischweibes das gefehlte Besteck benutzte, geriet Robinson sichtlich außer sich. Hätte der Frevler seinen Fauxpas nicht durch Unterlassen des Tischgebetes eingeleitet, wäre Robinsons Entrüstung weniger heftig und kaum von Tätlichkeiten begleitet gewesen, so aber schlug der erzürnte dem Dienstag die unter Einsatz crusoeschen Lebens den salzigen Fluten entrissene Sammlung praktischer Lebensregeln „Über den Umgang mit Menschen" unflätige Beschwörungen murmelnd mehrmals auf das Kannibalenhaupt. Dienstag war deswegen noch lange Zeit beleidigt, klapperte beim Geschirrwaschen provozierend mit Tellern und Bestecken und blätterte oft, geduckt und trotzig nach seinem Herrn schielend, in Kochbüchern.
Robinson liebt es, während die Kanaken die erniedrigenderen Arbeiten verrichten, sein Eiland zu inspizieren, von Besitzerstolz geplustert am Strand zu patrouillieren, lächelnd dem Einflüstern der obligaten inneren Stimme lauschend, die bei solcher Gelegenheit immer treffend bemerkt: ist alles meins, meins und wieder meins.
Ja, Robi, du hast zwar allerhand mitmachen müssen, aber du hast mit Fleiß und Redlichkeit etwas aufgebaut. Der Pensionsanspruch ist zwar futsch, doch Herr über eine ganze Woche und eine gelegentlich von Wirbelstürmen heimgesuchte, sonst jedoch recht trauliche Insel zu sein, das ist schon was, ist nicht ohne, ist nicht bloß ein Pfaffenstiel, ist mehr als ein Blumenstengel, ist allemal besser als ein Stein am Schädel.
Erfahren und inselgewitzt geworden kann Robinson Crusoe nunmehr seine eindeutig edle europäische Fährte von den Stapfen der aus Neigung bloßfüßigen Wilden unterscheiden. Herrn Kreutzners Spur ist stets die eines von vollendeter Erziehung, solider Ausbildung und den Besuchen zahlreicher Sonntagsmessen durchdrungen Schreitenden, wenn auch mit etwas breit auseinanderliegenden Tritten – durch häufiges Wandeln auf schwankenden Planken hat sich Robinson einen gemäßigten Seemannsgang angewöhnt – bildet sie jedenfalls einen deutlichen Kontrast zu den einfach durch Hatschen entstandenen Menschenfressertappern.
Früher war noch ein achter Leutegoutierer, Vitus mit Namen, unter Robinsons Bediensteten. Der war ein rechter Kalfakter, ein aufdringlicher Streber, widerlicher Scharwenzler und bösartiger Denunziant, der sich das Wohlwollen des Prinzipals unter anderem dadurch zu erschleimen hoffte, daß er diesen ausschließlich mit „Gnähea" oder „Euer Liebden" anredete und, im Gegensatz zu den anderen Lakaien, seine Ziegenfellivree immer peinlich sauber hielt, was ihm nebenbei die Attribute „dar Gschupfte" oder „der Kardätschte" eingebracht hatte. Seiner Livree wegen mied Vitus konsequent jede Tätigkeit, bei der das gute Stück hätte Schaden nehmen oder verunreinigt werden können.
So war schließlich zu erwarten, daß Robinson eines Tages von einem Spazierritt auf seiner ihn als einzige niemals abgeworfen habenden Lieblingsziege Maitress zurückkehrend gerade zurecht kam, wie der Gschupfte oder Kardätschte, inzwischen zur appetitlich auf Pappteller verteilten Menage geworden, von Freitag jeweils mit der Frage „mit Süßem oder Scharfem?" den übrigen Gourmandern angeboten wurde. So und ähnlich enden Kabalen unter Kannibalen.
Derlei hatte sich bereits damals angekündigt, als Vitus einmal von einem Badeausflug allein, verbittert und mit seltsamen Zeichnungen am Körper zurückgekehrt war. Montag hatte an Vitus fachmännisch die verschiedenen Fleischpartien gekennzeichnet, teilweise sogar schon als Wamme, Filet, Keule oder Wadschunken angeschrieben und solcherart veranschaulicht, auf welche weise der feiste Bursche zu tranchieren wäre.

Es gibt so Tage, an denen man besser im Bett bleibt, wird der Meister einst denken, wenn er des Morgens die glorreichen Sieben tachinierend antreffen wird. Just an dem Tag, an dem er mit scheinbar vergrößertem, schwerem Schädel und dem gewissen Geschmack nach gefüllter Senkgrube auf Zunge und Gaumen erwachen wird, die ihm jener am Vorabend, zur Feier des sechsundzwanzigsten Jahrestages der Okkupation der Verzweiflungsinsel gesoffene Rum beschert haben wird.
Mittwoch, den Papagei auf der Schulter in des Meisters Lieblingssessel hockend, wird vorgeben, das Kapital zu lesen, in Wahrheit aber Orwells Farm der Tiere in das aufgeschlagene Buch gelegt haben. Samstag wird mit der Formulierung eines Erlasses zur Umkehr der Machtverhältnisse beschäftigt sein. Ein Erlaß übrigens, in dem dem dem Demissionär Crusoe gewidmeten Passus besonderes Augenmerk zukommen soll. Dienstag wird sich einen riesigen falschen Schnurrbart unter die rot bemalte Nase geklebt haben und sich ebenso rauhbeinig wie lustig geben. Montag wird sich neuerdings Der Blaue nennen und überhaupt nichts tun, während Freitag verträumt in jenem Versandhauskatalog blättern wird, der vor einiger Zeit als Flaschenpost angeschwemmt worden sein wird. Die großkarierten Hemden und Schneuztüchln, lodenen Trachtenjoppen, groben Kniestrümpfe in loderndem Rot, Knickerbocker und Wanderschuhe werden es Freitag besonders angetan haben. Der ein wenig eitle Sonntag wird begeistert den Kalender studieren und zufrieden immer wieder seine wöchentlichen Namenstage zählen. Donnerstag, welcher das Verzeichnis der auf der Insel Wahlberechtigten bereits fertiggestellt sowie eine ausschließlich Robinson betreffende Arbeitseinteilung ausgearbeitet haben wird, wird dann unzählige Blätter mit Unterschriften vollkritzeln.
Fürderhin das Administrative zu übernehmen werden die sieben im Sinn haben. Eine sich gewaschen habende Nepotikratie werden sie aufziehen wollen und irgendwer wird schließlich die Papierkörbe ausleeren müssen.
Robinson wird der dräuenden Fron zu entgehen versuchen, indem er meinen wird, daß doch alle im selben Kanu sitzen, daß schließlich er, Master Crusoe, die Insel zivilisiert, das Kruzifix aufgestellt, eine Litfaßsäule errichtet, Zäune gebaut, den Leitspruch „Brauch rein, Lust raus" geprägt, ein ordentliches Schulwesen für Papageien und Kannibalen ganz ohne Unterschiede in Konfession und Geschlecht eingeführt, Wälder gerodet und Wüsten bewässert, gesät und geerntet, gezüchtet und geordnet habe. Daß er keine Vorurteile gegen Farbige habe, daß die sieben übrigens gar nicht so arg farbig seien, und daß er außer Träger des Honnysoitquimalypenseordens und einiger Verdienstzeichen in Perlmutt immerhin und vor allem und überhaupt und nicht zu vergessen primär Engländer mit deutschen Leukozyten sei, quasi zum Herrschen erkoren. Der präsumtive Schani oder Schackel wird von Bestimmung schwafeln, von Gottes Willen und Weltordnung, an der nicht zu rütteln sei, salbadern, wird von freiheitlich-demokratischer Grundordnung reden, die es mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten gelte, wird von Böcken plappern, die keinesfalls zu Gärtnern gemacht werden dürfen, wird von enormer Verantwortung reden, welche die Verwaltung mit sich bringe, wird über die Verschiedenheit der Rassen schwadronieren, wird von Ariern und den anderen quasseln, wird von Gehirnen Weißer plaudern, die im Durchschnitt schwerer seien als die Gehirne Farbiger, was einem Weißen schon zu denken gebe, wird zwischendurch gleich einem Greißler jammern, wird von Kultur und Tradition des Abendlandes faseln, wird von der heiligen Inquisition erzählen und vom Hexenhammer, von Conquistadoren und Colonialismus, von Schneewittchens Stiefmutter, von Doktor Krankenschein und seinem Puzzlegolem, von den Ereignissen rund um das Knusperhäuschen, vom magischen Adolf, von Fritz Haarmann, vom passiv erlebten Sport im allgemeinen und dem Zauber der Corridas im speziellen, vom nordischen Zuprosten, von Eucharistie und Chirurgie und Autopsie und Fleiß und Industrie and sympathy for Dynasty, wird verbal wie der Frosch in der Milch strampeln und kalten Schweiß auf der Stirn hoffen, sich auf diese Weise künftigen umstürzlerischen Katastrophen und freidenkerischen Kalamitäten entziehen zu können.
Tatsächlich werden die sieben durch den langen Geschichtsunterricht inzwischen etwas müde geworden sein und längst werden sie dabei sein, sich damit abzufinden, daß alles beim alten bleiben solle, zumal Robinson ihnen verbindlich zugesagt haben wird, sie, sobald die Zeit die Reife von Zwetschgen im Oktober erlangen werde, am Glanz des Okzidents teilhaben zu lassen, vorausgesetzt, man könne den nämlichen erreichen.
Halb büselnd den lebhaften historischen Schilderungen des Bleichgesichtes folgend, werden die Mohren außerdem einsehen müssen, daß Robinson Crusoe der subtileren Menschenfresser einer ist, irgendwie ein Verfechter der Haute Misanthropie, und daß sie gegen seinesgleichen immer nur kannibalische Stifte, gleichsam blutige Laien, gewissermaßen Subkannibalen geblieben sein werden. Da wird auch das bißchen Leuteverzehr nicht viel nützen.

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