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EIN FALL FÜRS KRIMINAL

Bob Tail war soeben dabei, das Ergebnis seiner Schlußfolgerungen – scharf wie das Rasiermesser, nach dem sein Zweieinhalbtagebart offensichtlich verlangte – dem unscheinbaren Mister Charles Hidden darzutun, und seine Stimme klang, als ob er ein Eiswürfelchen lutschte, das ihm unversehens mit einem zu hastig genossenen Schluck Bourbon in die Mundhöhle geraten war.
„Also Mister Hidden, es ist bereits zwei Tage her, seitdem ich das letzte Mal stockbesoffen war, heute bin ich zweifellos so gut wie nüchtern und der Fall ist so gut wie abgeschlossen. Sie hätten mich vorgestern nicht anrufen und auf die Sache ansetzen dürfen. So haben sie sich in der eigenen Schlinge gefangen, Mr. Hidden, denn sie waren es, der Lotte Kasualke um sämtliche Ecken gebracht hat, und ich bin es, der weiß, warum. Sie haben nämlich ein handfestes Motiv und sind zudem bei weitem nicht, was sie vorzutäuschen versuchen. Sie sind nämlich kein Professor der Germanistik, wie ich vorerst angenommen habe, sondern bloß ein schlichter Korrektor, der für seine Akribie berüchtigt ist. Lotte Kasualke, das arme Mädchen, hatte das Pech, aus Berlin zu stammen und verwechselte – dies ist eine Eigenheit der Berliner, wie ich inzwischen herausgefunden habe – gerne und ständig den Dativ mit dem Akkusativ. Solches konnten sie nicht länger ertragen, Mr. Hidden, drum haben sie, wie ich sie einschätze, Lotte mit einem Exemplar des Duden erschlagen. Sie müssen jetzt nur noch gestehen, wohin sie die Leiche entsorgt haben, und sollen nicht immer faseln, sie hätten mich nie angerufen und wüßten nicht, wer ich sei und was ich wolle, und hätten nie behauptet, Professor der Germanistik zu sein, und kennten keine Lotte Kasualke. All das scheint mir zu fadenscheinig zu sein, Mr. Hidden, ich habe daher gute Lust, ein wenig Sparring mit ihnen zu betreiben, mein Lieber."
Bevor Bob Tail jedoch zur Untat schreiten konnte, trat Lotte Kasualke auf den Plan. Das rauchige Timbre ihrer Stimme zog in Schwaden durch das Zimmer, als sie aussprach, was Bob seit dem Moment, in dem sie den Plan betreten hatte, vermutete. „Ich lebe noch", sagte sie einfach und Charles Hidden seufzte erleichtert oder auch hingerissen, denn Madame Kasualke war wahrlich eine attraktive Erscheinung.
Lässig schritt sie auf Bob Tail zu, mit einem Wiegen in den Hüften, das sogar Eunuchen nachdenklich gestimmt hätte. Doch Bob blieb cool ganz und gar, selbst als sie dicht vor ihm stand und ihn mit einem feurigen Blick ihrer rauchgrauen Augen ansah. „Rauchen sie?" fragte Bob und schnippte eine Marlowe aus der Packung. „Danke", sagte Lotte und langte nach der Zigarette, die dicht vor ihrer Nase aus der Packung lugte. Ihre Wimpern hingen schwer an den Lidern, während sie den Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Mr. Hidden schwitzte und selbst unterm Kühlschrank bildete sich eine Lache.
„Sie sind also Bob Tail", schmunzelte Lotte und maß Bob von oben bis unten, was eine Weile dauerte, weil er überdurchschnittlich groß war. Sie stieß einiges an Rauch aus und meinte weiter: „Das also ist er, der ehemals hochdekorierte Bulle. Heute ein mieser, schlechtverdienender Spürhund, ein Winkelschnüffler, der oft sein letztes Geld zusammenkratzt um Öl für seine Pistole zu erstehen. Untreue Ehegesponse und davongelaufene Gören sind sein täglicher Drink. Sein letzter Fall war etwas spektakulärer, hätte ihn aber beinahe die Lizenz gekostet. Nun wäre er freilich drauf und dran gewesen, ans große Geld zu kommen. Wir wissen doch, daß unser guter Hidden hier einige Millionen schwer ist. Sie wissen darüber hinaus, wo das Malteserkreuz zu finden ist, das Mr. Hidden unbedingt ergattern möchte, aus welchen Gründen auch immer. Es tut mir beinahe leid, ihnen dieses Geschäft zu verderben – endlich hätten sie sich teurere Getränke leisten können, vielleicht sogar einen roten Jaguar. Aber ich muß selbst gewisses Interesse an dem Kreuz anmelden, werde also nicht zulassen, daß ein anderer es bekommt."
Lotte sprach ganze Zeit kaltschnäuzig lächelnd, und Bob war klar: wenn diese Frau lächelt, meint sies verdammt ernst.
Charles Hidden seinerseits stellte fest: „Lotte Kasualke, diese Namen sind recht bekannt bei uns in der Kantine des Sicherheitsdienstes. Sie und ihre Zwillingsschwester sind Doppelagentinnen, beide nennen sich Lotte, was sich für ihr doppeltes Spiel schon oft als nützlich erwiesen hat. Ihrerzeit sind die zwei einfach mit einem Doppeldecker vom Osten in den Westen geflogen, um das legendäre Carambol-Turnier zu Casablanca mitzuverfolgen und anschließend mit dem unrechtmäßig erworbenen Queue des Siegers wieder zurück in den Osten zu türmen. Neulingen erzählen wir gern unter viel Lachen und Schenkelklopfen die Geschichte, wie die Schwestern Kasualke damals für Kain und Co. Kokain schmuggelten und im Zuge dessen, sämtliche Suchtgiftfahnder Europas auf den Fersen... "
Weiter konnte Hidden nichts mehr erläutern. Mit einem krachenden Schwung flog die Türe auf und ein Trupp Gendarmen drang in den Raum. „Nehmen sie die drei fest", rief der alternde Kommissar Alzheimer triumphierend. Diensteifrig klapperte der Kriminalassistent mit den Handschellen und versuchte, die nunmehr in Gewahrsam genommenen über ihre Rechte aufzuklären: „Diejenigen Personen, die nicht anhand eines Meldescheines einen ordentlichen Wohnsitz nachzuweisen imstande sind, haben dies mittels eines Nichtmeldescheines anzumelden beziehungsweise nachzuweisen. Als gänzlich ungemeldete Personen haben nicht jene zu gelten, die in dem Sinn nicht nichtgemeldet sind, indem sie gemeldet sind, sondern vielmehr jene, die nicht Nichtgemeldete darstellen. Solche Individuen haben ihre Nichtnichtmeldung mittels eines Garnichtmeldescheines zu melden". Alzheimer konstatierte mit resignierendem Kopfschütteln den vom Assistenten zum ixten Male falsch gewählten und zudem ziemlich lieblos dahingeleierten Spruch. Während die Schergen in aller Schleune jeden Winkel des Zimmers durchsuchten, einfach so und aus Routine, denn nur Alzheimer war klar, wonach eigentlich zu suchen sei, fragte der Kriminalassistent, gedankenlos eine Schublade ausleerend: „Woher wußten sie, daß die drei hier sind?" „Der Tip kam von Krämer", antwortete Alzheimer beiläufig, denn er hatte endlich, nach jahrelanger Jagd, jenen geheimnisvollen Wisch gefunden, darauf ein Gedicht stand, welches die Lösung jenes Rätsels verhieß, das ihn seit dem Tag, an dem er Abschied von der Polizeischule genommen hatte, beschäftigte und sein Leben seither grundlegend verändert hatte. Das Original galt lange Zeit schon als verschollen und war vordem von einem Archäologen namens Hidden, einem Onkel des bewußten Charles Hidden, in einer Höhle am Fuße des Parnaß gefunden und unter höchster Gefahr für Leib, Leben und Stehvermögen nach London gebracht worden. Das Papier hatte in der Fachwelt sogleich für einiges Aufsehen gesorgt und war dann wieder spurlos verschwunden. Allein eine Übersetzung von Eduard Kasualke, seines Zeichens Großziehvater der Schwestern Kasualke und Inhaber eines Berliner Synchronisationsstudios, war erhalten geblieben, diese hielt Alzheimer nun in der Hand und las:
Ick sitze da und esse Klops.
Mit eenmal klopt's.
Ick kieke hoch und wundre mir,
Mit eenmal jeht se uff die Tür.
Ick stehe uff und denk nanu,
jetzt is se uff, erst war se zu.
Ick jehe hin und kieke:
Und wer steht draußen – icke!

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