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ZWEIERLEI RAUSCH
oder
DA KRISCHNA MUASS A WEANA GWESN SEI


Der Karl, wenngleich ein wenig schwankend, war ausgeglichen. Seine Seele lag gebettet in gut zwei Litern Rotgipfler. Wundersamer Einklang herrschte zwischen ihm und dem Universum. So störte ihn nicht sonderlich, daß der Herr den Menschen als Stoffwechsler erschaffen hatte und die karlsche Blase deshalb nach Erleichterung verlangte. Wissend jedoch, daß sein Glück vollkommen würde, wenn er Wasser ließe, blickte Karl sich suchend nach einer Bedürfnisanstalt um und fand einen freundlich durch dicke Brillengläser lugenden, breit und verzückt lächelnden jungen Menschen, der ihn ansprach: „Du suchst, Bruder?"
„Brauch aa Heisl", stellte der Karl ein wenig unsicher und vielleicht auch etwas undeutlich fest.
„Wir alle suchen", erklärte der junge Mensch, Karls Anstaltbedürfnis ignorierend.
„Hoob aan Druck", beharrte Karl.
„Sämtliche Last wird von dir genommen, wenn du die Worte des Maharishi in dich aufnimmst und dein Sein danach einrichtest."
Undeutlich drang das Gesprochene an Karls Ohr, und er verstand nicht recht, brachte einiges durcheinander, deutete anderes völlig falsch und meinte deshalb: „Jaawoi, genau, richtig, woo isn des Gloo?"
„Entsage dem Soma und folge dem großen Seher, dem Erhabenen, dem Erleuchteten, so wird auch dir Erleuchtung zuteil", ereiferte sich der Bengel, doch dem Karl ward samt Soma und ohne dem Erhabenen zu folgen Erleuchtung zuteil, man sah es an seinem Gesicht, das sich merklich aufhellte: „Ii hoobs, doo is aa Wiat aum Eck, doo gääri eine, woo Wiatn saan, gibts Heisln aa".
Der Spund war enttäuscht, weil er, als Karls Miene lichter ward, schon geglaubt hatte, seine Rede hätte die erhoffte Wirkung gezeitigt. Aber noch war es nicht zu spät. Wenn er sich zum Beispiel zwischen Karl und Wirtshaus stellte, könnte er ein paar flinke Worte anbringen, den Auserkorenen in den verbalen Doppelnelson quetschen und zeigen, was er bei dem indischen Prediger gelernt hatte.
Karl reagierte, als er den Versuch, den Jünger links liegen zu lassen, gescheitert sah, vorerst noch trocken: „Koal haasi, aus Ottakring kummi, jetz gäärii schnöö schüffn, daun redma weida".
Daraus wurde nichts.
Der Verkünder der Worte des Erleuchteten verkündete, auf eine Neonröhre deutend: „Sieh nur, dies Licht, ebensolches brennt in mir".
„Aa grood aaso gehts maa aa... maunchmoi... aa richtige Gluat hoob ii zeidweis", erwiderte der Karl, dem nun vollkommen klar war, daß es den anderen viel schlimmer erwischt hatte als ihn selber. Weil auch die Bürschchen heutzutage nix mehr vertragen. Der da hatte einen Rausch von der schlimmen Sorte, soviel stand für Karl fest, nur die Intentionen des Kerlchens waren ihm noch nicht restlos klar, und als der Bursche abermals die Schleusen seines übervollen Herzens zu öffnen anhob, fiel ihm Karl ins Wort: „Woos wüüst denn eigentlich?"
Der Halberleuchtete war um die Antwort nicht verlegen: „Nirvana will ich erreichen, mein Freund", versicherte er treuherzig.
Endlich eine konkrete, faßbare Aussage, der junge Mensch will nach Nirvana, kein Problem für einen Hiesigen und zudem die beste Gelegenheit, den lästigen Menschen loszuwerden. „Oistan", begann Karl, „doo gehst de Gossn fiire, bist bei da Daliastrossn austehst, dee gehst aa Stickl owe und biagst daun de zweite links eine, gehst a so zehn Minutn weida, daun sixtas schoo – babaa, pfiati-good". Damit schickte Karl sich an, den Weg ins Beisl zu nehmen. Der Weg ins Beisl indes ward ihm von einem freundlich durch dicke Brillengläser lugenden, breit und verzückt lächelnden jungen Menschen verstellt, der schulmeisternd den Finger hob: „Wenn einer seine schwere Bürde niedersetzt und keine neue Last aufnimmt, wenn er die Gier mit der Wurzel ausgerissen hat, dann hat er das vollkommene Nirvana erreicht".
Das entlockte dem Karl nur ein achselzuckendes: „Waunnstas bessa waast... " Inzwischen wurde das Lächeln noch breiter und noch verzückter, als der Bube ins Schwärmen geriet und mit erhobenen Armen laut deklamierte: „Wonne, ihr Freunde, ist dieses Nirvana, jawohl, Wonne ist dieses Nirvana".
Jetzt wirds lustig, vermutete Karl und fing seinerseits an, das Lied von der Reblaus, die er in einem früheren Leben gewesen sein mußte, zu singen, geriet aber alsbald ins Stocken, denn der junge Mann sah ihn gar seltsam an.
„Deine Sehnsucht gilt dem Soma, Bruder?" fragte der Jünger düster. „Wahrlich, ich sage dir, so wirst du niemals dem Kreis der Wiedergeburten entkommen, nie und nimmer wirst du so Nirvana erreichen, mein Bruder."
„Auwa kloa, waunst mi nua voabeilosst", konterte Karl.
„Suchet keine andere Zuflucht, nehmet die Lehre als Insel". „Bass auf... schau... doo is ää soo a Biainsl... doo geh ii kuazz eine und bin glei wieda doo... äalich".
„Wenn der Weise Nirvana geschaut, betrübt er sich nicht inmitten von Betrübnis".
Den Karl betrübte, daß Nirvana und Pissoir ihm gleich unerreichbar bleiben sollten, während es den Illuminierten immer weiter mitriß: „Ich will euch an meinem Glücke teilhaben lassen, drum auf ihr Bedrückten, ihr Betrübten, alle, die ihr mühsam und beladen seid, all ihr verdammten dieser Erde." An dieser Stelle schwieg er kurz irritiert. Der Karl wollte die Gelegenheit nützen, um zum Wirtshaus vorzudringen, was aber irgendwie mißlang.
„Lauschet erhabenen Worten, den Worten dessen, der euch vom Weg zur Verwirklichung des Nirvana erzählt, den Worten dessen, der den Pfad zur Verwirklichung dieses Nirvana kennt. Denn achtteilig ist der Pfad, der zur Verwirklichung dieses Nirvana führt: rechte Anschauung, rechtes Wollen, rechtes Reden, rechtes Tun, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken, das mein Freund ist der Weg, das ist der Pfad zur Verwirklichung dieses Nirvana. Und Krishna ist der ursprüngliche Duft der Erde und die Hitze im Feuer. Krishna ist das Leben alles Lebendigen und die Entsagung aller Asketen. Er ist Ursache aller Ursachen und dies Nirvana ist Krishnas höchstes Reich und zugleich Krischna selbst, weil Krischna alles ist... "
Stille – ein wenig vom Hecheln des Verzückten abgeschwächt. Freudentränen kullerten unter den dicken Brillengläsern hervor, so groß war die Begeisterung.
Karl verstand wiederum nicht recht und brummte melancholisch, dem Hingerissenen die Pranke auf die Schultern legend: „Recht hoosd... nia waana... imma lustig bleim". Seiner eigenen Worte eingedenk jäh heiter werdend, fing er daraufhin vom Wein zum trällern an, der noch sein wird, wenn er, Karl, und einige ihm gleichgesinnte schon nicht mehr sein werden und vom Leben, das es zu packen gilt, solange man noch Freude daran hat.
Der Euphorist wurde sich aber gleich wieder seiner Sendung bewußt: „Ernsthaft sei unser tun, auch wenn es leichten Herzens geschieht, denn jede unbedachte Tat vermag uns dem Nirvana zu entfernen", wußte er entgegenzuhalten. Der Mensch vis-à-vis, solches entging dem Heißsporn nicht, war keineswegs leicht zu überzeugen. Ihn wunderte das sehr, weil er selbst, wie er meinte, gleich einem trockenen Schwamm das netzende Naß die segensreichen Worte der Erkenntnis bis in sein Herz gesogen hatte. Das habe ich schön gemeint, dachte er noch, bevor er bebend zu schreien begann: „Befreie dich, Unglücklicher, löse dich von den Zwängen der materiellen Welt, erkenne Krishna, erkenne dich selbst und tu sodann, was deine Seele dir zu tun befiehlt". Jetzt war er erst so richtig in Schwung, die Worte waren nicht mehr die seinen, sondern mindestens von Krsna inspiriert, das fühlte er. Doch er mußte sich nicht mehr verausgaben, der Karl hatte begriffen, stand bereits zustimmend nickend am Gehsteigrand, murmelte „ää kloa" und pinkelte erleichtert zwischen zwei parkende Autos.

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