home

LIEBE ALTE LEUT

Die beiden Alten saßen im chinesischen Restaurant bei ihren Wienerschnitzeln, die ein unerschütterlich freundlicher Asiate ihnen aufgetragen hatte. Das chinesische Geschnetzelte, von dem man nie sicher wußte, welch Fleisch da hineingeschnetzelt ward, mochten die beiden auf keinen Fall goutieren.
Schnitzel waren da schon eindeutiger, eine sichere Speise, welche die Alten gewohnt waren. Gewohnt waren sie auch den Rhythmus, der sonntags und feiertags erforderte, sich Schnitzel auftragen zu lassen.
Auftragen zu lassen, wohlgemerkt, man hatte schließlich ein Leben lang gearbeitet und wollte sich was leisten auf seine alten Täg.
Die Alten, eigentlich nicht mehr ganz gut zu Fuß, nahmen sogar einen Umweg in Kauf, um beim Chinesen ihre Schnitzel genießen zu dürfen. Es gab etliche Gaststätten, die ihrer Wohnstatt näher lagen. Mit den Wirtsleuten und dem Personal aller hatten sie sich bereits überworfen und straften sie nun insgesamt durch Verachtung und Fernbleiben, was die solcherart Bestraften mit Erleichterung zur Kenntnis genommen hatten.
Nun aßen die zwei Alten also ihre Sonntagsschnitzel beim allzeit freundlichen, immer geduldigen Chineser und sie schmeckten ihnen nicht und nimmer, denn im Grunde genommen hatten sie ihr Lebtag schon genug so Panierfladen verzehrt.
Darauf, eine Abwechslung in den sonntäglichen Speiseplan zu bringen, hatten die beiden aber irgendwie vergessen. Der Alte bestellte jedes mal extra Petersilkartoffel zu seiner Feiertagsatzung, denn den für gewöhnlich gereichten Reis konnte er nicht ausstehen.
Er mochte auch keine Petersilkartoffel.
Die schaufelte er jedesmal auf den Teller seiner Gesponsin hinüber, denn die aß, was immer auf den Tisch respektive Teller kam. Jeden von Teller zu Teller geschaufelten Erdapfel quittierte sie mit einem „Danke".
Danke, danke und nochmals danke, und zwischendurch klang an: „Bist ein guter Mann".
Nicht daß sie ihren Alten wirklich für einen guten welchen gehalten hätte. Sie sagte es vielmehr fürs Publikum. Man sollte sie nicht für undankbar halten.
Was das Publikum betraf, so war es ziemlich spärlich an diesem Sonntage. Es war eigentlich nur der Kellner anwesend, was die beiden daran hinderte, einem ihrer Lieblingspiele zu frönen, das da hieß: Gästausstallieren.
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als Geschichten aufzuwärmen, längst und oftmals Besprochenes neuerlich aufs Tapet zu bringen. Eine zahlreiche Verwandtschaft bot Ärgernis und folglich Themen genug und es tat den alten Leutchen gut, wenn sie auf solche Weise ihren Kreislauf beschleunigen durften.
„Die Liesbeth ist immer noch bös auf uns", meinte die Frau.
„Du bist aber auch bös auf sie", führte der alte Herr ins Kalkül.
„Du nicht?" fragte sie kritisch.
„Schon", gab er zurück.
„Die Thilde ist auch bös auf die Liesbeth."
„Die Thilde ist auf uns auch bös."
„Sollens bös sein."
„Wir haben ihnen aber wirklich keinen Anlaß gegeben."
„Sie uns aber schon."
„Weil sie alle gierig sind. Unersättlich sinds, wenns was zu holen gibt."
Eine Kartoffel wechselte den Teller.
„Danke, bist ein guter Mann, danke."
„Auf den Helmut und die Erika müssen wir auch bös sein, die haben sich den größten Teil von der Erbschaft geholt."
„Die lassen sich sowieso nicht mehr blicken vor lauter schlechtem Gewissen."
„Sowie die Tante tot war, waren sie die ersten im Häusel und haben die besten Sachen weggetragen."
„Bagasch!"
„Aber daß die Trude leer ausgegangen ist, freut mich schon. Und wie sie sich aufgeregt hat, weil sie die Tante immer besucht und gepflegt hat und dann kriegt sie nix."
„Die Tante hat auch gemerkt, daß da eine erbschleichen kommt. Sie war zwar nimmer gut beieinander am Schluß, aber sowas hat sie schon noch gemerkt. Das vergönn ich ihr, der Trude, das geschieht ihr wirklich recht."
Da kauten die zwei eine Weile still und heiter, bis die Frau den Faden wieder aufnahm:
„Von uns werden die alle nix kriegen, die ganze Packelrass."
„Da werdens dann lauern und vorher schon streiten und nachher kriegens alle nix."
„Fürs Tierschutzhaus machen wir unser Testament."
„Justament."
„Das wird eine Hetz", stellte sie fest und stocherte entschlossen, einen bitter selbstzufriedenen Zug um den Mund, nach Schnitzelstücken und Kartoffeln.
„Wie die Else gstorben ist, war auch gleich alles weg. Fünf Sparbücher hats gehabt, hab ich selber gesehen, und zwei waren dann noch über. Weil im Testament nichts genaues gestanden ist, hats keiner gemerkt."
„Kannst dir ja denken, wer die Sparbücher hat."
„Ja freilich, aber wir können denen nichts beweisen... schad."
„Na, beweisen können wir schon, woher glaubst, kommt die neue Wohnzimmereinrichtung und der Mikrowellenherd und das Bad habens auch neu machen lassen, wenn das kein Beweis ist."
„Die werden sich ausreden, daß der Edi viele Überstunden gemacht hat und so."
„Aber trotzdem wissens alle, daß sie die Sparbücher gnommen haben."
„Und gleich habens alles verpraßt."
„Na da wird schon noch was über sein; auf jedem warn so hunderttausend drauf ungefähr, nur die zwei kleinen habens überlassen."
„Wenns jetzt noch ein neues Auto anschaffen, können sie sich nicht einmal mehr ausreden, so gut verdient der Edi wirklich nicht, das weiß jeder."
„Er hats halt nicht weiter gebracht."
„Der Bub vom Martin und der Gertrude, hast den gesehen beim Begräbnis, der richt sich fürchterlich her...wie der ausschaut."
„Das Mensch ist auch nicht besser, die schaut auch so aus."
„Ich sag dir, die werden noch im Gefängnis landen alle zwei, so wie die ausschauen."
„Die kriegen besonders nix von uns, der Martin und die Gertrude mit ihren verzogenen Fratzen."
„Daß die die mitnehmen zu der Leich, das hat der Xandl nicht verdient, wo er doch immer so auf das Äußere, auf die Erscheinung aufpaßt hat."
„Na wenigstens warens am Friedhof nicht dabei, und das schwarze Gwand habens nicht wegen dem Xandl anzogen, das ist so Mode heutzutag. Die denken sich gar nix dabei, wenns einen verstorbenen Onkel beleidigen."
„Da hätt doch der Martin was sagen müssen oder die Gertrude, aber nein, die lassen die zwei Vogelscheuchen einfach zum Leichenschmaus kommen."
„Da wolltens wieder die Mahlzeiten sparen, weißt ja, daß die Gertrude nicht gern kocht."
„Mager und blaß sinds, die Kinder, aber leid tun sie mir trotzdem nicht."
„Ich glaub, die nehmen eh Rauschgift."
„Zum Augenarzt werd ich bald wieder müssen. Ich hab zweimal hinschauen müssen, bis ich die Kette mit den Zuchtperlen wieder erkannt hab, was die Elfi umghabt hat. Das war nämlich die von der Kathitant."
„Das is auch nicht mit rechten Dingen zugangen, bei der Erbschaft von der Kathitante. Wieso hat die Elfi den ganzen Schmuck kriegt?"
„Sie war ja wirklich schon ganz daneben, die Tante, die hat geglaubt, die Elfi meints gut mit ihr, weils zweimal im Monat zu Besuch kommen is."
„Und Punschkrapfeln hats immer mitbracht, weils die Tante so gern gessen hat."
„Dabei wars schwer zuckerkrank."
„Aber wenigstens hat die Elfi das Salettl und den Garten nicht kriegt."
„Wär ja noch schöner gewesen, genügt eh der Schmuck für zweimal besuchen im Monat."
„Weißt noch: der Karlonkel? Der hat sich lang Zeit lassen mit dem Sterben."
„Die Schwestern im Spital waren schon ganz desparat, weil er jeden Tag gsagt hat: Ich leb noch, da schauns!"
„Anders war das, die Schwestern haben immer grüß Gott gsagt und er hat gsagt, ich kann ihn nicht grüßen, weil so bald treff ich ihn nicht."
„Das auch. Er hat sich halt bis zuletzt seinen Humor bewahrt, der Karlonkel."
„Zfleiss hat ers gsagt, weil er die Schwestern nicht mögen hat."
„Sind sowieso alles Trutscherln, die Schwestern. Die werden sich schön anschaun, wenn ich wieder ins Spital muß."
„In der Nacht mußt es herläuten, immer in der Nacht."
„Wer von uns zwei, glaubst, wird als erster wieder ins Spital müssen, ich mit meine Nieren oder du mitm Herz."
„Der Magn drückt mich auch."
„Das wird am Essen liegen."
„Die können halt keine Schnitzl, die Chineser."
„Gulasch müßtens aber können."
„Ich geh nicht unter der Wochen auch noch her, das überleb ich nicht."
„Wirst auch immer unser Grab besuchen, wenn ich einmal in der Erd lieg?"
„Wenn ich nicht selber drin lieg."
„Ja, ja, die Guten gehn immer zuerst."
„Sag ich ja."
„Was hast gsagt?"
„Daß ich selber bald drin lieg, noch vor dir."
„Unterschätz meine Nieren nicht!"
„Und bei mir isses das Herz und der Magen, du sollst mich nicht so aufregen."
„Ich sag ja gar nix."
„Freilich sagst was. Daß du als erste stirbst, sagst, weil die Guten immer als erster gehen. Und ich sag dir auch was, deswegen bin ich noch lang nicht schlechter, nur weil ich vielleicht nach dir stirb."
„Das kommt gar nicht in Frage."
„Vergönnst mirs nicht?"
„Ich mein nur, daß es sich nicht auszahlt."
„Ah, ja, und für dich würd es sich auszahlen, was?"
„Schon."
„Da kannst aber lange warten."
„Du sollst dich nicht aufregen, denk an dein Herz."
„Was geht dich mein Herz an...und wenn mich auf der Stell der Schlag trifft, dann schaust blöd."
„Den Kellner werd ich rufen, daß er die Rettung ruft, damitses weißt."
„Lieb von dir."
„Iß jetzt fertig, damit wir nach Haus kommen."

home