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LUKULLTUR

Für dreizehn Stimmen und Nebengeräusche

An einem Tisch sitzend:
Frau Kirzenschlick, Anstandsdame aus Passion
Eine gewisse Rabatz – Kulturredakteuse einer Lokalzeitung oder auch umgekehrt
Frau Hein, eine ehrgeizige Krankenschwester
Das Ehepaar Schweigl, dem Genusse nicht abhold
Frau und Herr Moderer –
die Gattin eines höheren Beamten mit ihrem Gemahl
Der Geschäftsmann Penunze in Begleitung einer Naiven
Herr Lauter, ein Pädagoge
Herr Schipp, ein Techniker
Wärz, kein Bourgeois

Atmosphäre: Nobelrestaurant – sachtes Klappern von Geschirr und Bestecken; Räuspern zuweilen, verhaltenes Lachen mitunter; klassische Musikkulisse. Die Akteure sind im Begriff ihre Suppe zu löffeln und offenbar mehr auf die oder das Speisen als aufs Gespräch konzentriert. Zwischen den einzelnen Aussagen gibt es immer kurze Pausen, die von den Geräuschen des Tafelns ausgefüllt sind


Schweigl (er) (hastig löffelnd)
:
Schon öfter hier gegessen...öfter auch anderswo gegessen – kein Vergleich
Moderer (sie): Wahrlich exklusiv...so kultiviert
Schweigl (sie): Erstklassiges Restaurant mit erstklassiger Bedienung; hat etliche Sterne
Penunze (immer wieder von Schlucken unterbrochen): Also Nietzsche, wissen sie, Nietzsche bewundere ich, weil ein Mann, der imstande war, mit einem Schnurrbart wie dem seinen die Nudelsuppe mit Würde zu essen, einfach Bewunderung verdient
Wärz: Auch Marx konnte das...schon vor Nietzsche...und sogar mit Vollbart
Penunze (kurz angebunden): Marx bewundere ich nicht
Rabatz: Chaplin konnte das auch
Penunze (erheitert): Bitt sie...mit dem Bärtchen!
Rabatz: Er konnte es abnehmen
Penunze (unsicher): Wie?
Rabatz: Loslösen...von der Oberlippe
Penunze (stutzt): Ah...ja!
Die Naive: Sind wir schon beim Tischgespräch?
Lauter: Kant, Hegel, Spinoza!
Moderer (er): Alle bartlos
Rabatz: Alle bartlos, genau!
Schweigl (er): Neulich hatten wir Gelegenheit, eine szenische Aufbereitung des Kamasutra im Marionettentheater zu sehen...eine verwickelte Geschichte
Kirzenschlick (ahnungslos): Oh...interessant...hatten sie einen Logenplatz
Schweigl (er) (trocken): Parkett
Nach etwas peinlichem Schweigen und einigen Löffeln Suppe wieder
Wärz: Dieses neue Stück im Kellertheather! Kennt das jemand? Starke Passagen, sag ich ihnen (zitiert laut): Haut der Haute-Volee die volle Haut voll – hört ihr satten Ratten mit Krawatten, die Wut der Hungrigen wird euch verzehren
Penunze: Mahlzeit
Lauter (eifrig erbost): Ein recht linkisches Stück, scheints. Will gar nicht wissen von welchem Autor, solche kennt man ja zur Genüge; mit Meister Goethe jedenfalls nicht zu vergleichen (zitiert nun seinerseits schwärmerisch): Habe nun, ach, Geometrie...das ist Poesie. Bei Goethe weiß man wenigstens, woran man ist
Hein: Anatomie muß es heißen, nicht Geometrie
Penunze: Goethe ist anerkannt, den kann man anerkennen
Moderer (sie): Schiller ist ebenso anerkannt...oder Kleist...oder Uhland...
Schweigl (er): Moliere
Schweigl (sie): Raymon
Lauter: Knigge, Clausewitz
Penunze: Ist wie im Geschäftsleben, der gute Name zählt
Moderer (sie) (gewichtig): Es ist doch wohl vorwiegend die Gewißheit, welche kulturmotiviert
Lauter (verträumt): Der Faust, ja der Faust: wie boshaft wär ich wohl, allein ich mich nicht traue...
Schweigl (er): Oder: Heinrich, wer schnaubt denn hier!
Rabatz: Goethe geht, aber Schiller ist auch nicht schlecht
Schweigl (er) (lachend): Der Goethe sagt zum Schiller...(stutzt)...naja...gehört nicht ganz hierher
Rabatz: Goethen dürfte kein Kostverächter gewesen sein...wenn man bedenkt...zwei Liter Wein pro Tag
Penunze: Da war vor einigen Tagen eine kuriose Geschichte in der Zeitung zu lesen: Ein stinkreicher Ami hat um umgerechnet zwei Komma zwei Millionen einen zweihundert Jahre alten Bordeaux ersteigert und hat ihn dann in die Vitrine gestellt, der Angeber. Was soll ich ihnen sagen, die Sonne knallte Tag für Tag drauf, der Wein war hin. Solche Ignoranten gibts dort drüben und die verdienen zu allem Überdruß ein Schweinegeld
Moderer (er): Die Amerikaner haben einfach keine Kultur
Moderer (sie): Wir schon!
Penunze: Klar
Rabatz: Sonst säßen wir nicht hier
Schweigl (sie): Ich bin ja sehr für die Musik, die Königin der Künste...Bach, Händel...und Beethoven natürlich...
Hein: Van Beethovens Taubheit war übrigens, wie man hört, nicht auf Morbus Paget, sondern auf Innenohr-Otosklerose zurückzuführen
Moderer (sie): Ich persönlich bin eine glühende Verehrerin von Herbert von Caravan, dem Maestro, der hörte gut bis zuletzt...absolut sozusagen
Wärz: Schon Max Reinhardt hat seinerzeit gemeint, Caravan werde es wohl nicht besonders weit bringen
Lauter: Hier irrte der Meister aber gewaltig!
Rabatz: Apropos Irrtum: Auch Mozart irrte, was seinen Vornamen betraf, Amadeus war nämlich gar nicht sein richtiger Vorname
Schipp: Nun, er hieß freilich auch noch Wolfgang – und sonst?
Rabatz: Gottlieb, oder höchstens Theophil, aber auf keinen Fall Amadeus
Moderer (er): Wolfgang Gottlieb Mozarts Zauberflöte?
Moderer (sie): Wolfgang Theophil Mozarts Cosi fan tutte?
Lauter: Allerhand!
Hein: Für diese Unklarheit über den eigenen Namen dürfte die Kraniostose Ursache gewesen sein
Die Naive: Unter welchen Umständen ist Mozart nun wirklich verschieden? Man liest soviel Verschiedenes
Schweigl (er) (schmatzt): Verhungert isser
Rabatz: Ich denke doch, daß Salieri ihn beseitigt hat
Kirzenschlick: Die Freimaurer haben ihn auf dem gewissen. Er war doch einer von denen und hat in der Zauberflöte ihre Geheimnisse verraten – deswegen...
Hein: Alles sensationslüsterne Gerüchte. Ein urämisches Koma hat ihn dahingerafft, nach langem Nierenleiden ganz normal – überhaupt damals
Schweigl (er): Unsinn! Verstopfung hat er gehabt und quecksilberhaltige Abführmittel hat er geschluckt und sich damit selber den Garaus gemacht
Wärz: Vielleicht hat er keine Mozartkugeln vertragen...denen Motten bekommen die Mottenkugeln auch nicht
Moderer (sie): Schade, daß dieses Genie das allzu Zeitliche hat segnen müssen, unvorstellbar, was der noch alles hätte schaffen können
Schipp: Es kommt der Tag, an dem Computer Meisterwerke werden rekonstruieren oder nachvollziehen können. Alles nur eine Sache des Programms
Lauter: Mit der Zehnten von Beethoven hat man sowas schon versucht, allerdings ohne Computer
Moderer (er): Wenn sie mich fragen, ist sowas nichts weiter als Fälschung, in der Malerei ist das nicht zulässig, aber wenn jemand Musik fälscht, sieht keiner hin
Schipp: In Zukunft wird man die zahlreichen Möglichkeiten der Elektronik nicht zuletzt für die Musik nutzen. Ich habe da zum Beispiel ein Konzert zu hören bekommen, wo die Geräusche eines Schnarchenden, eines Rasenmähers und einer Sprinkleranlage elektronisch zu Rhythmus und Melodie modifiziert wurden
Kirzenschlick: Oh Gott!
Moderer (sie) (laut): Oper...ich sage nur: Oper...die menschliche Stimme, das herrlichste aller Instrumente, wird man niemals simulieren können...mit Strom!
Oberkellner (gleich zur Stelle): Sie wünschen?
Moderer (sie): Sie hab ich nicht gemeint
Oberkellner: Pardon (entfernt sich wieder)
Moderer (er): Die Stimme von Beethoven...das kann man nicht nachmachen...unmöglich
Schipp: Nunmehr gibt es schon Programme, die dichten können...Lyrik, Prosa, alles...und wirklich gut. Da wird zuerst ein komplettes Wörterbuch eingespeichert, man legt Versmaß, Gedicht und Textlänge und dergleichen fest, jagt dann den Speicherinhalt durch den Zufallsgenerator – fertig. Je mehr Freiheiten der Programmierer dem Computer läßt, desto besser sind die Sachen
Kirzenschlick: Oh Gott!
Lauter: Nun ja, das sind lediglich Spielereien – Experimente –, literarischen Wert hat sowas keinen
Wärz: Sagen sie das nicht. Ich denke da nur an die Versuche, die ein Irrenarzt mit seinen Patienten angestellt hat. Hat sie einfach drauflosschreiben oder -malen lassen. Wurde nie so recht ernstgenommen, ist aber erstklassige Kunst, wie einige Kritiker richtig erkannt haben.
Moderer (sie) (entsetzt): Das soll Kunst sein, Kunst ist das wirklich nicht...
Moderer (er): Nie und nimmer ist das Kunst
Schweigl (er): Kunst kommt allemal noch von...(abgelenkt) ah!
Das Nahen des Kellners kündigt sich durch Klappern eines Servierwägelchens an. Es entsteht eine Pause, in der man nur den Kellner hantieren hört. Er bereitet das Flambieren vor. – Man hört Fluschen, gefolgt vom Prasseln eines heftigen Brandes. Gleich darauf
Lauter: Und es wallet und siedet und brauset und zischt...
Rabatz: Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt...
Schweigl (er): Man verhindert jede Feuersbrunst, wenn man rechtzeitig ins Feuer...naja...gehört wohl auch nicht hierher
Moderer (er): Wohltätig ist des Feuers macht...
Kirzenschlick (entzückt): Flambieren ist eine Kunst
Schweigl (sie): Gute Köche sind wahre Künstler, sie verstehen Auge, Gaumen und Herz gleichermaßen zu erfreuen. Sie sind's, die den Kunstfreund erquicken und laben
Schweigl (er): Ja, ja...es gibt viele Künstler im Bereich der Gastronomie...Eat Art ist kein leerer Wahn
Hein: Die Zubereitung der Speisen unterscheidet schließlich den Menschen vom Tier
Moderer (sie): Jawohl, Kunst muß appetitlich sein
Schweigl (sie): Gewisse Stilleben machen mich immer hungrig...
Lauter: Dann gibts aber auch Kunst, bei der einem wirklich der Appetit vergehen kann
Moderer (er): Pfui Teufel!
Moderer (sie): Nicht so in der Musik
Schweigl (er): Naja, nicht alle Opern sind ganz sauber
Moderer (sie): Das liegt dann aber nur am Libretto...
Lauter: Ekel zu erregen ist keine Kunst
Penunze: Eins von den unappetitlichen Stücken wurde mir neulich vorgesetzt. Ich sitze im Theater, bereit für den Kunstgenuß, da laufen, gleich nachdem der Vorhang aufgegangen war, ein paar von diesen bunthaarigen, ungepflegten Halbstarken, mit Sicherheitsnadeln in sämtlichen Extremitäten, durch den Zuschauerraum zur Bühne. Sabotage, denk' ich, Skandal, sag' ich, abstellen, dreinschlagen, mein' ich und hau' gleich dem ersten, der an mir vorbeikommt – ich hatte einen Ecksitz, müssen sie wissen – hau' dem also gleich eins auf die Nase. Dabei wurde auch mein Nadelstreif in Mitleidenschaft gezogen. – Später hat sich herausgestellt, daß der Halbstarke ein Schauspieler war, der Auftritt gehörte zum Stück – aber ein Exempel war's doch
Rabatz: Unappetitliches Stück
Kirzenschlick: Ich bitte sie...meine Lieben...nicht ausgerechnet beim Essen
Moderer (sie): Es ist empörend, daß immer weniger Herren Krawatte tragen. Heutzutage ist man den Elementen geradezu ausgeliefert, die sich im Theater oder vor laufender Kamera unvollständig bekleidet zeigen. Bei einer Fernsehsendung...eine Talk-Show oder Diskussion wars...hat einer sogar ganze Zeit den Hut aufbehalten...Ein deutliches Zeichen für den Verfall...von Kultur und Sitte, wenn man nicht einmal mehr verlangen kann, daß die Leute sich anständig anziehen
Kirzenschlick: Ich kenne eine Hinterglasmalerin, die trägt immer eine Perücke...
Lauter (jedes Wort betonend): Kultur...ist...Benehmen...mit...Krawatte
Moderer (er): Und Fähnchen, ein paar Fähnchen machen sich immer gut
Schweigl (er): Der gute Patriot trinkt ein Viertel Rot, eins in Weiß und wieder eins in Rot...prost!
Moderer (sie): Eine Statue ganz und gar aus Seife, das ist es, was uns fehlt...
Kirzenschlick (eifrig): Oder eine aus Wachs...ich selbst arbeite oft und gerne mit diesem wunderbaren Material
Schweigl (er): Gabs alles schon. Das Beste auf dem Gebiet war eine Skulptur aus Schmalz, die in Düsseldorf oder sonstwo von irgendeinem hochbezahlten Künstler aufgestellt worden ist. (Mit einem Unterton von Ekel) Fettecke hat er die Scheußlichkeit genannt. Ist dann von der Putzfrau weggeräumt worden, hatte wohl kein rechtes Verständnis für solche Art von Kunst, nicht wahr (lacht hämisch)
Moderer (sie): Recht so, ich hätts auch wegräumen lassen
Schweigl (sie): Ist ja wirklich eine Schande, Schmalz so zu mißbrauchen
Die Naive: Vorige Woche waren wir in der Nationalbibliothek, dort gab es wunderschöne Pelze zu sehen
Moderer (er): In der Bibliothek?
Penunze: Naja, die wollten unbedingt ein Werfel-Manuskript erwerben, konnten sichs aber nicht leisten. Da haben wir Geschäftsleute im Rahmen einer Pelzmodenschau halt ein wenig unterstützen müssen, wie so oft, wenns um kulturelle Werte geht.
Esspause
Rabatz: Erich Fried hat den Georg-Büchner-Preis erhalten
Moderer (er): Siegfried Lenz hat den Manès-Sperber-Preis bekommen
Lauter: Ernst Jandl hat den Georg-Trakl-Preis erhalten
Schweigl (er): Thomas Bernhard hat den Paula-Grogger-Preis bekommen
Schipp: Peter Huemer hat die Friedrich-Torberg-Medaille erhalten
Penunze: Haben sie schon gehört, zu welch fantastischem Preis die Originalpatituren von Mozartsymphonien oder die Schwertlilien von van Gogh bei Sossebies ersteigert wurden?...Sa-gen-haft...
Moderer (sie): Wer trägt eigentlich zur Zeit den Iffland-Ring?
Penunze: Irgendein Schauspieler
Moderer (sie): Wir fuhren früher gerne nach Salzburg, den Jedesjahr anschauen...aber neuerdings hat selbst Salzburg einiges an Niveau eingebüßt...
Rabatz: Die Sprechkultur verfällt in Salzburg dort...so weit hats müssen kommen
Kirzenschlick: Wie man bloß auf die Idee verfallen konnte, ein Oratorium wie Das Buch mit sieben Siegeln ausgerechnet in einer Kirche aufzuführen – so drastisch mein ich...
Wärz: Das kann ich ihnen schon erklären...
Moderer (sie): Erklärung bedarf es da keiner...es ist einfach ein Skandal
Moderer (er): Skandal, jawohl...
Kirzenschlick: Dann noch Auftritte von Bänkelsängern, die mit der würde des Domplatzes einfach unvereinbar sind...schrecklich. Der Geist, der sich da in Salzburg breit macht, ist scheinbar schon bis Oberammergau gedrungen. Wenn ich denke, wie echt und authentisch die Passionsspiele noch waren, wie die Maria wirklich von einer Jungfrau gespielt worden ist
Lauter: Jaja, es geht bergab...Brecht konnte damals noch rechtzeitig von Salzburg abgewendet werden...heute würde man ihn, fürchte ich, mit offenen Armen aufnehmen
Wärz (in Rage): Das ist der wahre Skandal, diese Geschichte mit Brecht seinerzeit, signifikant für das herrschende Kulturverständnis. Mit dem Schreiben beginnt man nun einmal links...links beginnts, das müssen einige erst noch begreifen...und rechts hört sich alles auf...so isses doch...
Lauter: Nicht überall...
Penunze: Das Schlimmste ist, wenn die Damen und Herren Künstler sich in die Politik mischen
Schweigl (sie): Schauspieler als Politiker...scheußlich
Wärz: Umgekehrt is auch nicht besser...aber öfter
Lauter: Man spricht n
icht ohne Grund von der politischen Bühne
Moderer (er): Die Bretter, die die Welt bedeuten...
Wärz: ...sind stets die vor Stirnen von gewissen Leuten
Penunze: Unsere heiligsten Theaterwerte sind dem linksradikalen Ausverkauf preisgegeben
Lauter: Nicht genug, daß einige die Kunst als Selbstzweck sehen, wird sie leider auch vor diverse politische Karren gespannt
Schweigl (er): Wo bleibt da der Kunstgenuß, frag ich mich
Wärz: Wo bleibt die Freiheit der Kunst, frag ich mich
Moderer (sie): Freiheit ist unordentlich

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