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Moderer (er): Jawohl, wo bleiben Zucht, Ordnung und Disziplin, wenn jeder draufloskünstelt. Sich beherrschen können, das ist eine Kunst
Wärz: Das hat doch alles nichts mit Kunst zu tun. Der Kunst ihre Freiheit und durch Freiheit zu neuen Horizonten, sag ich immer. Kunst ist so gesehen eben eindeutig politisch, und wenn sie sich, werte Tischgenossen, selber so auf den Kopf stellen wie sie die Inhalte der Kunst schon auf den Kopf gestellt haben...
Moderer (sie): Was mich betrifft, so bin ich keines Menschen Genosse
Penunze: Wenn man Kunst politisieren will, so sieht man sie natürlich politisch. Dagegen werden ich und meinesgleichen immer ankämpfen, gegen diesen Mißbrauch der Kunst zur linkslinken Agitation, damit sies wissen!
Rabatz: Meine Unterstützung haben sie. Unser Blatt wendet sich immer und immer wieder gegen das, was an künstlichem und künstlerischem Unrat produziert wird, und der gesund empfindende Bürger geht, wie sich zeigt, konform mit unserer Kritik
Kirzenschlick: Die ersten künstlerischen Äußerungen der Menschen waren religiösen Inhalts, Kunst ist, kann man behaupten, ursprünglich religiös. So hätte es am besten bleiben sollen, aber leider...die Entwicklung...Meine Freunde und ich, eine Gruppe aufrechter Christen, haben bereits einige Male erfolgreich gegen blasphemische Machwerke interveniert. Wir lassen nicht zu, daß man religiöse Gefühle verletzt, wie wir uns ebenfalls dagegen verwehren, daß man Kunst durch politische Inhalte entweiht. Diese Aktionen waren, Gott sei Dank, jedesmal von Erfolg gesegnet und wir konnten so manches Gespenst vertreiben
Wärz: L'art pour la politique
Schweigl (er): L'art pour le plaisir
Kirzenschlick: L'art pour le bon dieu
Hein: L'art pour la santé
Moderer (sie): L'art pour l'ordre
Schipp: L'art pour le progrès
Penunze: Egal wie, ein gutes Geschäft soll es sein, muß ja schließlich alles bezahlt werden
Lauter: Etliche Künstler, die sich in ihrem Metier bereits profiliert haben, versuchen sich neuerdings gerne in anderem
Kirzenschlick: Aber daß Maler Häuser machen, dreidimensional, find ich wirklich arg. Der Maler Regentag zum Beispiel...Gott sei dank hat er die Klosterschule in Frankfurt nicht bauen dürfen...wär ja auch zu schlimm...einer, der die Natur über den Menschen als Ebenbild Gottes und Krone der Schöpfung stellt...
Wärz: Und darüberhinaus behauptet, die Erde sei rund...
Kirzenschlick: Haben sie die Kirche schon gesehen, die der Bildhauer mit dem tschechischen Namen entworfen hat...wie heißt er denn gleich...egal...jedenfalls nichts als Beton und obenauf statt eines Kreuzes eine Fernsehantenne – richtige Andacht kann ich mir dort nicht vorstellen
Rabatz: Hat er das Quasi-Grabmal eigentlich endlich fertig, der Herr Bildhauer?...der andere, der auch so tschechisch heißt
Penunze: Wenn sich unsereiner so viel Zeit ließe bei seiner Arbeit...
Moderer (sie): Schauspieler singen oder malen, Maler schreiben Bücher oder singen auch, Schriftsteller singen und malen, Operntenöre versuchen sich in Popmusik...Männer und Frauen lassen sich geschlechtsumwandeln...ein Chaos
Lauter: Gibts im Sport auch, die Geschlechtsumwandlungen...aber Kultur und Sport gehören sowieso zusammen
Wärz: Manche haben halt mehr Talente. Ein Hesse hat gemalt, ein Kubin hat geschrieben, der Literat Boris Vian war ein hervorragender Jazztrompeter, da gibts unzählige Beispiele
Rabatz: Über die Qualität solchen Fremdgehens läßt sich streiten. Vian, wenn sie den schon erwähnen müssen, war wohl als Trompeter brauchbarer denn als Literat oder überhaupt als Übersetzer. Lesen sie einmal Vernon Sullivan im Original und sie werden bemerken, daß die Übersetzungen Vians Stümpereien sind
Wärz: Diesmal muß ich ihnen beipflichten, darüber läßt sich streiten
Moderer (er): Schuster, bleib bei deinen Leisten...
Moderer (sie):Universalgenies vom Formate eines Leonardo oder Goethe gibt es einfach nimmer
Schweigl (sie): Rossini nicht zu vergessen, welcher sich vorzüglich aufs Komponieren von Gerichten verstand...oder Casanova, der...
Kirzenschlick (bekommt einen Hustenanfall)
Moderer (beide) (räuspern sich energisch)
Schweigl (er): Kunst ist im Grunde genommen sinnlich, eigentlich müßte es Brunst heißen
Kirzenschlick (erstickt): Oh, mein Gott!
Moderer (er): Mit dieser Ansicht stehen sie aber ziemlich allein, denn sauber, nett und rein soll die Kunst uns sein
Penunze: Reimt sich sogar...zwei mal
Rabatz: Ein Dichter!
Moderer er (etwas verlegen): Na ja...
Penunze: Den seinen gibt's der Herr beim Essen (lacht)
Schweigl (er): Speziell in der Malerei kenn ich allerhand Schweinereien...Ich möchte an dieser stelle nur an das dreckige Grinsen von der Mona Lisa erinnern
Hein: An der Darstellung des menschlichen Körpers gibt es doch nichts auszusetzen
Kirzenschlick: Jede Zeit braucht ihren Daniele di Volterra...man kann Gott sei Dank viel korrigieren – nachträglich
Schweigl (sie): Vorzüglich das Fleisch!
Moderer (sie): Serviert man hier nicht unter anderem eine japanische Spezialität...rohen Fisch...oder irre ich mich?
Schweigl (sie): Ja, ja, vollkommen richtig, der Küchenchef war eine Zeitlang in Japan, auf Einladung von Kurt Ossawa
Rabatz: Meinen sie Kurosawa, diesen wohl exzellentesten Exponenten des japanischen Films?
Schweigl (sie): Überhaupt nicht, der Ossawa, den ich meine, betreibt ein Wirtshaus in Tokio...böhmische Küche, Mehlspeisen, Bramburi, Knödel und Polka, die Japaner lieben sowas
Die Naive: Es ist schon imposant, was die Japaner alles fertigbringen. Ein sechsundsiebzigjähriger Fingerpfeifer – auch ein Japaner – pfeift sogar in der Carnegie Hall Tannhäuser
Wärz (stöhnt): Ich habs ja geahnt, daß Wagner auch noch aufs Tapet kommen muß
Lauter: Daizo Tamura, der Horowitz des Zeigefingers...kenn ich...ein wahrer Virtuose
Hein: Find ich nicht besonders seriös...Fingerpfeifen...
Moderer (er): Sogar Brahms Fünfte haben sie gespielt...ein japanisches Orchester...bei uns im Konzerthaus
Penunze: Die haben wenigstens Arbeitsmoral, die Japaner
Schipp: Sagen sie, jener Kurosawa, ist das nicht der Mann, der die Sujets für diverse Italowestern geliefert hat?
Lauter: Aber nein, Kurosawa ist derjenige, der die klassischen europäischen Dramen den Japanern näher bringt...auf seine Weise...
Rabatz: In wunderschönen Bildern...
Wärz: Was Werner Herzog gedreht hat...in Südamerika...mit Klaus Kinsky...das waren Bilder
Schipp: Herzog war zuletzt wohl der einzige, der Kinsky noch beschäftigte
Rabatz: Nun ja – Kinsky galt eben als schwierig...
Hein: Klinisch geradezu
Moderer (sie): Die Art wie er die Gedichte des französischen Galgenvogels Villon vortrug, dafür allein hätte er schon in eine geschlossene Anstalt gehört
Wärz: Kinsky hat auch Goethe vorgetragen, muß man ihm schon zugute halten
Kirzenschlick: Sogar Goethes Gedichte klangen lasziv aus Kinskys Mund
Penunze: Kennen sie den meistbeschäftigten Schauspieler? Bekannt aus Film und Fernsehen: Undviele Andere heißt er (prustet los und gluckst bis zum verschlucken)
Moderer (sie): Schauspieler haben sowas Unordentliches, dauernd lassen sie die Türen offen und verstecken sich hinter falschen Namen
Lauter: Das ist nichts ungewöhnliches, viele Künstler benutzen Pseudonyme
Moderer (sie): Auch so eine amerikanische Unart
Hein: ...wie die Hamburger
Lauter: Voltaire gebrauchte sogar sechshundertundzehn
Die Naive: Hamburger?
Penunze (ungehalten zur Naiven): Pseudonyme!
Wärz: Die russischen Revolutionäre waren da schon bescheidener
Moderer (er): Die hatten gewiß andere Gründe, sich hinter falschen Namen zu verbergen
Penunze: Wegen der Werbewirksamkeit, wenn einer Willi Dschugasch heißt, nimmt ihn von vornherein keiner ernst
Wärz: Die Verwendung von Decknamen ist beim Klerus ebenso Usus...Mönche und Päpste arbeiten mit Vorliebe unter falschen Namen...das gibt zu denken, finden sie nicht?
Kirzenschlick: Mir nicht
Nach längerer, von bedrücktem Schweigen und natürlich von Klappern und Klirren beherrschter Pause erwacht die Runde nach dem unvermittelten und nach Heureka klingenden Ausruf von
Lauter: Shakespeare!
wieder zu einiger Betriebsamkeit. Angeregtes Murmeln – man hört ein paarmal ehrfurchtsvoll den Namen Shakespeare aussprechen – löst das bedrückte Schweigen von vorhin ab
Penunze: William Shakespeare?
Lauter: Selbstverständlich! Oder kennen sie einen besseren?
Wärz: Da haben wirs wieder! Shakespeare ist in aller munde und um Grabbe kümmert sich keiner, dabei war Shakespeare bloß Schauspieler – er hat sogar Weiberrollen gespielt, das ist bekannt. Später war er dann zwar Mitbesitzer des Globe-Theaters, aber alles, was Shakespeare angeblich geschrieben haben soll, hat in Wahrheit Bacon verfaßt – so siehts aus! Grabbe, der gewiß alles selber geschrieben hat, braucht also den Vergleich nicht zu scheuen
Schweigl (er): Speck!
Lauter: Wie bitte?
Schweigl (er): Bacon heißt Speck – ich kenn mich aus mit der englischen Küche
Moderer (sie): Eine gewagte Hypothese
Schweigl (er): Das ist keine Hypothese, es gilt als erwiesen, daß Bacon Speck heißt –, und zwar schön durchwachsener, gesalzener Räucherspeck
Moderer (sie): Aber nein – ich meine doch, daß Shakespeare nichts geschrieben haben soll
Die Naive: Was hat denn Shakespeare dann geschrieben, und wer ist Grabbe?
Wärz: Christian Friedrich Grabbe war ein Genie – der deutsche Shakespeare – oder Bacon...wie man will
Rabatz: Alkoholiker war er, soviel ich weiß, und Hungerleider
Schweigl (er) (mit vollem Munde): Dergleichen gab und gibt es ja immer zur Genüge unter den Künstlern
Die Naive: Alkoholiker oder Hungerleider?
Schweigl (er): Beides – das bringt die Boheme so mit sich (trinkt hörbar und sagt anschließend selbstzufrieden): Prost, Mahlzeit!
Rabatz:Selbst Stifter mußte oft Hungers leiden
Hein: Medizinisch gesehen war auch Hemingway Alkoholiker
Lauter: Das kommt besonders in seinen Dramen zutage, nicht wahr...
Wärz (tückisch): Grabbe war doch Beamter!?
Moderer (sie): Nicht lange, mein lieber, man hat ihn aus dem Staatsdienst entfernt, er dürfte wohl kein guter Beamter gewesen sein
Moderer (er) (ein in höhnisch triumphierendes Lachen übergehendes, meckerndes): Ja!
Moderer (sie): Unter der Beamtenschaft kann man allerdings die größten Künstler finden – aus der Boheme kamen und kommen immer nur die zweitklassigen und drittklassigen Leute ohne Odnungssinn
Rabatz: Womit wir bei Grillparzer wären
Moderer (sie) (entrüstet): Erlauben sie, Grillparzern war doch niemals zweit-, geschweige denn drittklassig
Rabatz: Aber Beamter
Penunze: Um auf Shakespeare zurückzukommen, ich denke, der wird wirklich ein wenig überschätzt. – Das Globe-Theater war doch bloß ein schlichter Holzbau
Schweigl (er): Einfach ein Plagiator – er oder der andere – Themen wie Othello, Hamlet oder Maß für Maß...alles zusammengeklaubt
Lauter: In Form gebracht, mein lieber, in Form gebracht...in eine geniale Form, wie sie zugeben müssen
Penunze: Mit dem Begriff Genial wird ziemlich ungenierlich umgegangen. Die wahre Genialität kann man in Zahlen ausdrücken
Lauter: Der Intelligezquotient ist selbstverständlich meßbar und berechenbar
Penunze: Ich meine keine Quotienten, ich meine Summen...Geld. Nehmen sie den Rembrandt zum Beispiel, von dem es jetzt heißt, daß er die meisten seiner Bilder gar nicht selber gemalt hat, er hat sie nur unter seinem Namen verkauft. Rembrandt: der Chef von einer Kunstmalerwerkstatt...geschäftstüchtig war der
Lauter: Aber Picasso war wirklich fleißig
Auf den Einwurf von
Wärz: Wie der Kellner herumzelebriert mit dem Gebratenen und Gesottenen, könnte man meinen er habe bei Nitsch gelernt
wird lautes Schlucken und verlegenes Räuspern vernehmbar, begleitet von einem Hustenanfall Penunzes, der sich verschluckt
Lauter: Nitsch?...Nitsch?
Wärz: Ein Aktionist
Lauter: Unerhört!
Moderer (sie): Also bitte, ich muß wirklich bitten...
Rabatz: Das sieht ihnen ähnlich...
Schweigl (er): So laßt ihn doch, wir sind doch eine aufgeschlossene Runde hier
Kirzenschlick: Natürlich, aber auch das hat seine Grenzen
Rabatz: Der gute Geschmack zieht die Grenze. Was sich mit gutem Geschmack nicht vereinbaren läßt, ist indiskutabel
Die Naive: Also mir schmeckts...
Penunze (peinlich berührt): Brigitte, bitte...
Schweigl (sie): Weil sie gerade den guten Geschmack im Munde führen, mich verlangt nach einer Nachspeise...ein Mohr im Hemd wär nicht übel
Moderer (sie): Die letzte Othello-Aufführung an der Burg war ja ganz schlecht
Die Naive: Komisch, wir haben Othello in der Oper gesehen
Schweigl (er): Wie hat er sich denn aufgeführt, der Othello?
Kirzenschlick: Ich liebe Venedig
Wärz: Ja, Venedig, das Symbol des Unterganges...Eine degenerierte alte Stadt versinkt im Meer, zerbröselt, verliert an Glanz, stumpft ab, das sollte zu denken geben. Venedig ist ein Symbol der Degeneration
Lauter: Wenn nicht Popmusiker ihren abartigen Krawall dort machen würden, sodaß die großartigen alten Bauten, ein wesentlicher Teil abendländischer Kultur, möchte ich betonen, unter dem Lärm, wohlgemerkt, leiden, könnte ja nicht viel passieren. Man muß eben Rücksicht nehmen, Rücksicht, sage ich, auf das kulturelle Erbe, welches uns hinterlassen wurde, nicht wahr...
Moderer (sie): Sie müssen sich nur vor Augen halten, welche Art von Leuten die Protagonisten derartiger Lärmentwicklung darstellen. Entartete Krachmacher sind das
Rabatz: Die hämmern mit archaischen Rhythmen auf unsere Kultur ein
Lauter: Eine Unart ist das, jawohl. Denen gehören die Instrumente konfisziert und dann ab zu anständiger Arbeit
Moderer (er): Ich würd da schon dreinfahren, daß es seine Art hat
Lauter: Kunst hat artig zu sein
Wärz: Wieartig?
Schweigl (er): Haben wir nicht Wein bestellt? Wie lange dauert das denn, bis der Garçon den Wein bringt?
Lauter: Warten auf Bordeaux, haha
Unter Ausrufen der Bewunderung tritt der Kellner auf. Jemand ruft: Seht nur, seht, dann beginnt der Kellner eine Art gregorianischen Gesang:
Den Herrschaften die Kelche zu füllen bring ich den teuersten Tropfen aus unserem Keller – zu zwotausendvierhundertundsechzig die Flasche – sorgfältig dekantiert und in der Karaffe entfaltet zu vollem Aroma. Nun reich man dem Gast eine Patrone edelster Kohlensäure und lasse ihn daran riechen. Reicht er sie mit gefälligem Nicken zurück, so ist sie geeignet als prickelnder Zusatz fürs Wasser im Siphon. Das Glas füll zu einer Hälfte mit sündteurem Wein und spritze zur zweiten Sodawasser darein, somit ist der köstliche Trank denn bereitet – Wohl bekomms
Moderer (sie): Genau so gehört das
Lauter: Genau – das gehört sich so!
Penunze rülpst: Rosebud

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