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SZENE IN EINEM AUFZUG

Motto: Was einem die Eule, ist dem andern die Nachtigall

Kurz: Zwei Personen geraten in einem steckengebliebenen Aufzug ins Sprechen und Streiten.
A ist egozentrisch und agoraphobisch,
Z hingegen egoistisch und klaustrophobisch.


Lang:

Z (erschrocken): Was ist jetzt?
A (sachlich): Steckengeblieben
Z: Sagen Sie das nicht
A: Ich sage steckengeblieben
Z: Ich muß doch raus
A: Sie müssen was?
Z: Hinauf
A: Sie sprechen so undeutlich, meinen Sie hinaus oder hinauf?
Z: Beides. Oben muß ich hinaus
A: Hoch hinaus, wie?
Z: Ich habe einen wichtigen Termin
A: Ehrgeiz zerfrißt Sie
Z: Hier ist zu wenig Platz
A: Wenn Sie und Ihre Hektik nicht wären, fänd ichs ausgesprochen gemütlich hier
Z (gedankenverloren): Ich liebe sie
A: Mir scheint, Sie versuchen die Situation auszunutzen
Z: Ich liebe die Weite, die Freiheit, die Ausdehnung des Meeres, die Übersichtlichkeit der Steppe, den erhabenen Blick über Gipfel, Ellbogenfreiheit, wohin man schaut, aber hier ist es zu eng
A: Angst?
Z: Nun, so würd ich es nicht nennen. Trotzdem hätte ich die Treppe benutzen sollen, dann wär ich bereits oben
A: Angst!
Z: Glauben Sie, wir werden lange hier bleiben müssen?
A: Ich habe Zeit, ich habe mein Vergnügen. Ich habe außerdem Proviant. Wollen Sie?
Z: Ich habe keinen Appetit
A: Aus Angst, ich weiß
Z: Ich denke nur, wir sollten nichts essen. Wer weiß, wie lange wir hier verbleiben müssen...Wenn das Gedärm erst einmal zu arbeiten beginnt...
A: Das würde Sie stören?
Z: Stellen Sie sich vor, der Stoffwechsel erfordert das seine und wir müßten uns hier herinnen entleeren
A: Ich pflege gewisse Geschäfte immer in kleinen Kabinen abzuwickeln
Z: Aber die hier ist ja wirklich nicht geeignet dafür. Sie ist dem vertikalen Transport gewidmet
A: Kein Stuhl im Fahrstuhl!
Z: Ziemlich beschränkt, Ihr Humor, und von wahrhaft zweifelhafter Güte
A: Von Ihnen laß ich mir den Spaß nicht verderben. Mich animiert die Umgebung, diese Geborgenheit, der Schutz vor den Unbillen der Welt. Ich könnte es stundenlang hier aushalten unter Lachen und Scherzen
Z: Und die Weite des Meeres, die Übersichtlichkeit der Steppe, der erhabene Blick über Gipfel, die wahre Ellbogenfreiheit?
A: Schwindelerregend. Man ist ziemlich vielen Gefahren ausgeliefert da draußen. Man sieht Schatten am Horizont und weiß lange nicht, was man von ihnen halten soll.
Im günstigsten Fall sinds nur Luftspiegelungen, die reine Täuschung, sowas kann einem hier herinnen nicht passieren
Z: Man sollte den Alarmknopf drücken
A: Selbst der Alarmknöpfe entbehrt man draußen
Z: Die Zeit kann ziemlich lang werden, wenn man so eingesperrt ist
A: Wir könnten ein Gesellschaftsspiel spielen oder etwas Sport betreiben
Z: In dieser Enge?
A: Wenn Sie immer hinter mir gehen respektive umgekehrt, könnten wir einige Runden drehen, ein richtiges Rennen, geb ich zu, wird wohl nicht möglich sein
Z: Die Luft würde zu knapp werden
A: Die Luft reicht lange, die Kabine ist ja nicht hermetisiert, und Platz ist wirklich genug
Z: Nicht für einen Menschen, der die Freiheit der Ellenbogen liebt, den erhabenen Blick über Gipfel, die Weite des Meeres, die Übersichtlichkeit der Steppe und die Unendlichkeit des Alls
A: Ich mag trotzdem Lifte lieber
Z: Särge mit Tragkraft für vier Personen
A: Wissen Sie, manchmal drücke ich absichtlich auf den Halteknopf, damit ich eine Zeit lang hier drinnen genießen kann
Z: Diesmal haben Sies auch getan, geben Sies zu! Ich verlange, daß Sie ihn wieder in Gang setzen
A: Nichts dergleichen habe ich getan. Ich wundere mich sogar, daß er stehengeblieben ist. Wie kann das nur passieren?
Z: Stellen Sie sich nicht blöd. Ich werde ihn selber in Gang setzen
A: Versuchen Sies
Z: Geht nicht
A: Nur der Hausmeister ist auserwählt. Um diese Zeit frühstückt er
Z: Dann muß er doch den Alarm hören
A: Er frühstückt selten zu Hause. Er geht immer in die Tee- und Likörstube, vulgo Branntweiner, und wenn er dann zurückkehrt, würde ich ihn lieber nicht hantieren lassen
Z: Sie scheinen den Mann gut zu kennen
A: Ich besuche ihn gern, er hat eine nette kleine Wohnung, ein wenig vernachlässigt vielleicht, und wunderbar vollgeräumt mit Tand
Z: Den melde ich bei der Hausverwaltung, sobald ich draußen bin
A: Weil er frühstückt oder weil er seine Wohnung mit Kramuri füllt?
Z: Weil er nicht auf seinem Posten ist und mich somit meiner Freiheit beraubt. Und weil er sich pflichtvergessen betrinkt
A: Vielleicht trinkt er, um die Pflicht zu vergessen?
Z: Der Mann gehört eingesperrt, den zeig ich an, Sie werden sehen
A: Sobald Sie oben sind?
Z: Sobald ich oben draußen bin
A: Hier herunten drinnen sind sie nicht frei?
Z: Hier herinnen auf keinen Fall
A: Nicht geborgen?
Z: Bedrückt bin ich, diese Wände erdrücken mich. Für einen Menschen meiner Größe ist es nicht gesund, eingeschlossen zu sein, einer wie ich braucht Platz, außerdem habe ich einen wichtigen Termin
A: Nur keinen Größenwahn und nur die Ruhe. Realiter sind Sie nicht gar so groß und Termine sind nicht so wichtig. Das Wenigste ist haltbar genug, um sich daran zu klammern wollen Sie das einsehen?
Z: Alles können Sie nicht abtun, irgendetwas muß ihnen etwas bedeuten
A: Frohgemut den Weg durch das idyllische schmale Gäßchen hierherzugehen, um in den Lift zu steigen und ihn, wie bereits erwähnt, zwischen zwei Geschossen anzuhalten. Dann lasse ich das Ambiente wohltuend auf mich einwirken, egal auf welcher Ebene ich mich befinde. Ihnen mag dies unwichtig oder sogar ungut erscheinen, aber so ist das Leben
Z: Seltsame Genüsse, die Sie da anführen
A: Eine Wohltat für die auf Märkten zerfaserten Nerven
Z: Weit werden Sie nicht kommen, wenn Sie sich ausschließen, wenn Sie sich absondern. Menschen ohne Tatkraft sind nicht gefragt
A: Wenn Sie mich fragen, so ist es mir unter den gegebenen Umständen angenehmer, nicht gefragt zu sein
Z: Die Welt gehört uns Tüchtigen, oder zumindest ein tüchtiges Stück davon und alles andere werden wir uns auch noch erarbeiten
A: Ihr könnt sie haben ganz und gar, ich werde mich in einen Winkel zurückziehen und euch werken lassen. Müßiggang ist alles Rastens Anfang und alles Hastens Ende!
Z: Ein Plädoyer für die Lethargie!
A: Es ist so meine Art, mich der allgemeinen Raserei zu verweigern. Mir fehlt eben sie eben, die entsprechende Dynamischung. Ich kann jedoch nicht behaupten, daß sie mir besonders fehlt
Z: Wie kann sich ein gesunder Mensch in der Blüte seiner Jahre nur so gehen lassen. Machen Sie etwas aus sich, nehmen Sie teil
A: Ich pflege nicht zu blühen! Und ich lasse nicht mich gehen, sondern die andern laß ich gehen, und gesund ist keiner von denen
Z: Sehen Sie mich an!
A: Ich soll aus mir einen machen wie Sie einer sind...?
Z: Einen erfolgreichen welchen!
A: Dann wär ich der Gesunden einer?
Z: Widerstandsfähig und gewappnet!
A: Stark genug um teilzunehmen am allgemeinen Hasard?
Z: Reißen Sie sich zusammen und seien Sie glücklich. Dafür muß man schon was tun, für den Erfolg, für das Glück, für alles, was das Leben ausmacht
A: Ich bin schon zufrieden, wenn ich zufrieden bin
Z: Genügt nicht...ist alles zuwenig...also raus aus dem Kasten...hinein in die Welt...dem Erfolg hinterher...gehen Sie voraus...
A: Unmöglich! Wir hängen zwischen den Geschossen. Wir müssen abwarten, bis der Aufzug wieder in Gang kommt
Z: Verdammt und zugenäht...
A:
 Als ob wir in einem Sack wären
(Nachdenkliches Schweigen)
Z: Meinten Sie vorhin, daß Sie hier im Hause im Grunde nicht beschäftigt sind?
A: Meinte ich!
Z: Sie haben weit und breit keinen Termin?
A: Absolut mitnichten
Z: Und Sie fahren mit dem Lift ohne zwingende Notwendigkeit, nur so aus Vergnügen?
A: Erfaßt!
Z: Da bin ich also mit einem derart exzentrischen Individuum in einen Lift gesperrt!
A: Ich bin eher zentrisch, sehr zentrisch, glauben Sie mir, denn ich allein bin ich allein und bin was ich bin nur meinetwegen. Das müßten Sie doch auch kennen, das Gefühl
Z: Eingesperrt zu sein in einem Lift mit einem exzentrischen Egozentriker und einen wichtigen Termin versäumen der heutige Tag steht unter einem Unstern
A: Sie glauben anscheinend an den Einfluß der Sterne?
Z: Ich glaube an die kosmischen Kräfte, an das, was uns von weit draußen beeinflußt, lenkt und prägt...daran glaube ich
A: Vielleicht wars eine von den Protuberanzen, die den Lift gestoppt hat
Z: Müssen Sie immer wieder auf das Thema zu sprechen kommen?
A: Seien Sie froh, daß ich hier bin. Ohne Ablenkung würden Sie in Panik geraten, halb wahnsinnig würden Sie vor Angst, so allein in der gemütlichen Kabine. Sie brauchen meinen Trost
Z: Wir sollten weniger sprechen, wegen des Luftvorrates...
A: Manchmal steht er stundenlang! Vielmehr, er hängt zwischen zwei Geschossen im Schacht und rührt sich nicht von der Stelle
Z: Lassen Sie das Geschwätz
A: Ich entwerfe bloß eine Prognose der nächsten Zukunft
Z: Ich denke weiter
A: Haben sie schon Pläne für die Zeit draußen?
Z: Selbstverständlich! Aber wenn wir noch lange hier festsitzen, platzt der Termin und meine pekuniäre Zukunft ist in Gefahr
A: Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn Sie abwärts fahren?
Z: Ich werde mich hüten, nochmals in diesen Kasten zu steigen. Bevor ich einstieg, hat mich meine innere Stimme noch gewarnt: Bleib draußen, da drin ist es zu eng und sicher stinkts auch, hat sie gesagt. Ich also die äußere Stimme antwortete jedoch: Wir sind spät dran und müssen uns schleunen. Das haben wir jetzt davon
A: Ach ja so eine innere Stimme hats gut. Die ihrige dürfte jedoch nicht immer wissen, wovon sie spricht, hören Sie lieber nicht auf sie
Z: Bei ihr hab ich oft den Eindruck, ihr wird es zu eng in mir
A: Ich werde die Glühbirne rausschrauben, es wird noch gemütlicher dadurch, man fühlt sich dann beinahe wie im Mutterleib
Z: Unterstehen Sie sich! Und was wissen Sie denn, wie der Mensch sich im Mutterleib fühlt
A: Ich war dort!
Z: Das können Sie mir nicht erzählen, daß Sie sich daran erinnern können
A: Wenn Sie ganz tief in sich gehen, dann werden Sie sich auch erinnern
Z: Was mach ich ganz tief in mir. Ich bin lieber außer mir
A: Ich sehne mich zurück in die rote Dämmerung nahe dem dumpfen Pochen. Es war alles so einfach damals, so behaglich
Z: Man muß sich dem Leben stellen. Hinaus in die Welt muß man. Termine muß man haben
A: Gar nichts muß man. Ich jedenfalls muß nicht, und Sie würden auch nicht müssen
Z: Ich will aber, ich will raus!
A: Lassen Sie sich Zeit. Bleiben Sie noch ein wenig. – Sie sind eingeladen!
Z: Eingesperrt bin ich, eingeschlossen, eingepfercht, eingezwängt...
A: Ihnen fehlt es an Ausdauer. Außerdem kommen Sie mit Ausnahmefällen schlecht aus
Z: Wir müssen etwas tun. Rufen müssen wir, schreien, brüllen, den Alarmknopf unausgesetzt betätigen, damit alle Welt auf uns arme Eingeschlossene aufmerksam wird
A: Ich bin durchaus nicht arm!
Z: Wir werden beide ersticken, verhungern nein, zuerst verdursten wir. Mit erloschenen Augen in Exkrementen liegend was heißt liegend, zum Liegen ist zuwenig Grund vorhanden, in Exkrementen hockend also...
A: ...sitzend im selben Kot...
Z: ...wird man uns auffinden oder wir zerfleischen uns gegenseitig...
A: Sie hegen demnach den Wunsch, mich zu zerfleischen?
Z: Ich will es natürlich nicht, aber wenn ich später halb wahnsinnig bin vor Hunger, Durst und Harnverhaltung, kann es immerhin sein
A: Halber Wahnsinn genügt ihrer Ansicht nach, um einen Menschen zu zerfleischen?
Z: Auch ganz normale Menschen tun das...also warum soll nicht ein halb wahnsinniger...
A: Fragen Sie mich einmal, ob ich Sie zu zerfleischen wünsche
Z: Also...?
A: Nein und abernein. Sehen Sie, Sie haben nichts zu befürchten, ich hingegen...
Z: Ich werde mich natürlich beherrschen, solange es geht
A: Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, Sie wollen mich beunruhigen, sodaß ich alle Anstalten mache aus dem Lift und somit aus Ihrer Nähe zu gelangen. Das würde Ihnen gefallen, nicht wahr? Dann fänden Sie ebenfalls einen Ausweg
Z: Früher oder später müssen Sie auch raus
A: In Indien gibt es Fakire, die legen sich einfach in einen Sarg und lassen sich für ein paar Wochen begraben. Und wenn man sie wieder ausgräbt, steigen die aus der Kiste und haben nicht einmal sonderlichen Appetit
Z: Wir dürfen uns auch nicht zuviel bewegen. Wer weiß, welche Ursache der Defekt hat. Möglicherweise stürzen wir mitsamt der Kabine noch ab
A: Der alte Fliegerspruch „runter kommen sie immer" trifft auch auf Lifte zu
Z: Und wir stecken zwischen dem dritten und vierten Stock. Die Wucht des Aufpralls wird uns zermalmen

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